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Innovativ, nachhaltig, digital und optimistisch. Wie wir in der Klimapolitik die Kurve kriegen
Er hoffe, dass „wir noch die Kurve kriegen“ – das war die eindringliche Botschaft des deutschen Astronauten Alexander Gerst an seine noch nicht geborenen Enkelkinder. Sehr viele Menschen haben seinen Appell aus dem All im letzten Jahr geliked und geteilt. Der promovierte Geophysiker Gerst weist auf berührende Weise auf die Schönheit und Verletzlichkeit unseres Planeten hin. Er beschreibt das „zerbrechliche Raumschiff Erde“, spricht über Wälder, die abgeholzt werden, über den steigenden CO2-Ausstoß, über den Müll in den Weltmeeren und über limitierte Ressourcen, die zu schnell verbraucht werden. Gerst spricht uns unaufgeregt, aber nachdrücklich ins Gewissen und ermuntert uns, unser Wissen, unseren Erfindungsreichtum und unseren Forscherdrang zu nutzen, um „die Kurve“ zu kriegen.
Gersts Blick auf die Erde aus dem All war dank konsequenter Forschungsförderung, Technologieentwicklung und durch Erfindergeist und Kreativität überhaupt erst möglich. Und mit einer Forschungs-, Innovations- und Technologieoffensive werden wir auch das „zerbrechliche Raumschiff Erde“ für unsere Kinder und Enkel erhalten. Denn Klimaschutzpolitik ist Technologie- und Innovationspolitik. Umweltschutz ist ein Innovationsmotor und damit ein wichtiger ökonomischer Wettbewerbsfaktor. Eine Ausrichtung deutscher Unternehmen auf Technologieentwicklung, Produkte und Dienstleistungen für den Umwelt- und Klimaschutz schafft Marktchancen und neue Arbeitsplätze.
Die deutsche Wirtschaft entwickelt mit global wettbewerbsfähigen und international erfolgreichen Unternehmen, mit einem starken Mittelstand und innovativen Startups bereits klimaschonende Technologien für die ganze Welt. Nur so können Wertschöpfung und Innovationstätigkeit im Land erhalten bleiben. Deutschland kann den Beweis erbringen, dass die Energiewende nicht nur klimaschützend wirkt, sondern dass wir gleichzeitig unsere Stärke als Industrie- und Wirtschaftsnation erhalten und weiter ausbauen.
Unser Land hat im Umwelt- und Klimaschutz bereits sehr viel geleistet. Die bisherigen Förderinstrumente führten zu Innovationssprüngen. Wenn wir sie jetzt weiterentwickeln, müssen wir noch konsequenter auf Effizienz setzen, um die Vermeidungskosten pro Tonne CO2 deutlich zu reduzieren.
Das bestehende Gesamtgebäude aus Entgelten, Umlagen, Abgaben und Steuern im Energiesektor muss grundlegend umgebaut werden. Es geht uns dabei um besseren Klimaschutz, nicht um mehr Staatseinnahmen. Wir haben nicht zu wenig Steuern, wir haben zu wenig Steuerung. Wenn wir also das unstrukturiert gewachsene System reformieren, den Ausstoß von Treibhausgasen zum Maßstab machen und im Verkehr und bei Gebäuden einen CO2-Deckel einziehen, dann muss es auch Entlastung für Bürger und Betriebe geben – zum Beispiel beim Strompreis über die EEG-Umlage und die Stromsteuer.
Den Einsatz und die Entwicklung klimaschonender Technologien wollen wir konsequent anreizen. Durch die Entwicklung, Förderung und Etablierung neuer Technologien, um beispielsweise erneuerbare Energien in synthetische Gase und Kraftstoffe wie Wasserstoff und Methan umzuwandeln, könnten wir fossile Kraftstoffe ersetzen. Auch durch neue Speicherkonzepte oder die Nutzung von CO2 als Rohstoff könnten der Rohölbedarf gemindert und damit der Ausstoß von Treibhausgasen verringert werden.
Wir sollten die Potenziale neuer Technologien offen und breitestmöglich nutzen. Die Schlüssel sind Effizienz, Innovation und Technologie. Damit erhalten wir Arbeitsplätze und Wohlstand, sichern unseren Standort und ermöglichen nachhaltige Mobilität für alle. So geht es etwa nicht um Politik gegen das Auto, sondern für die vernetzte Mobilität der Zukunft mit attraktiver Bahn und Öko-Autos, die hier gebaut, gefahren und in alle Welt exportiert werden. Dazu gehören Anreize für sparsame Fahrzeuge und die Infrastruktur dafür genauso wie ein massiver Ausbau eines günstigen ÖPNV für alle – gerade auch im ländlichen Raum.
Digitalisierung verbindet schon jetzt den Ausgleich zunehmend schwankender Stromerzeugung aus Sonne und Wind, die intelligente Netzsteuerung, flexible Verbrauchssteuerung, Smart-Home-Anwendungen oder virtuelle Kraftwerke. Auch nachhaltige Stadtkonzepte lassen sich durch Digitalisierung und intelligente Datenverknüpfung klug verwirklichen. Die „Smart City“, die Stadt der Zukunft, ist vernetzt, technologisch fortschrittlich und nachhaltig mit einer hohen Lebensqualität für jeden. Die Rahmenbedingungen für digitale Anwendungen im Energiesystem wollen wir zügig verbessern. Das gilt für den Einsatz von Smart Metern ebenso wie für Ladesäulen oder Lastmanagement.
Alexander Gersts Worte, die aktuellen IPCC-Berichte und auch die Debatten der vergangenen Monate zeigen uns: Veränderungen sind notwendig. Wir müssen diese Veränderungen erfolgreich schrittweise gestalten, damit es nicht zu einer Schieflage kommt zwischen den einen, die sich ein hohes Tempo leisten können und anderen, die abgehängt werden. Uns ist wichtig, dass Stadt und Land gemeinsam vorankommen. Familien mit geringem Einkommen, Menschen, die in noch nicht sanierten Häusern wohnen oder Berufspendler, die auf ihre Autos täglich angewiesen sind, dürfen nicht zu Verlierern einer gut gemeinten Politik werden. Wir wollen und müssen alle Menschen auf diesem Weg mitnehmen.
Wir beschließen nicht einfach den Ausstieg, wir ermöglichen den Umstieg. Wenn wir aus der Kernenergie und schrittweise aus der Kohle aussteigen, dann müssen wir nicht nur klar machen, wie wir auf alternative Energien überzeugend umsteigen und dabei Bezahlbarkeit und Versorgungssicherheit garantieren. Wir müssen auch neue Perspektiven gestalten für Menschen, die in diesem Bereich arbeiten und für Regionen, die von traditioneller Energieversorgung geprägt sind.
Auch bei den Gebäuden brauchen wir Anreize zum Umbau. Vor weiteren Belastungen muss eine Entlastungsoffensive gestartet werden: dazu gehören unter anderem eine steuerliche Sanierungsförderung und eine Abwrackprämie für Ölheizungen.
Die CDU diskutiert derzeit in einem breiten Beteiligungsprozess wie wir konkret vorgehen, um das Klimaziel für 2020 schleunigst und das für 2030 zielgenau zu erreichen. Bis 2050 wollen wir Klimaneutralität in Deutschland schaffen. Dafür regen wir einen nationalen Klimakonsens an, der gesellschaftlich und politisch breit getragen wird. Verlässlichkeit und Planungssicherheit sind Garanten für den langfristigen Erfolg. Was wir für den Klimaschutz tun, darf nicht die Halbwertzeit von Wahlperioden haben. Initiativen dürfen nicht in den föderalen Mühlen zwischen Bundestag und Bundesrat zerrieben werden. Über die Parteien der Großen Koalition hinaus werben wir deshalb für eine belastbare Verständigung über die deutsche Klimapolitik - unter Einbeziehung von FDP und Grünen, von Landesregierungen und kommunalen Spitzenverbänden.
Die Herausforderung eines langfristig verlässlichen Pfads für konsequenten Klimaschutz macht wie unter einem Brennglas deutlich, dass es hier um Nachhaltigkeit im umfassenden Sinn geht – und damit um den Ausgleich von Umwelt, Wirtschaft und Sozialem. Wir dürfen nicht im Heute auf Kosten der Zukunft leben. Unser Handeln muss in den Augen unserer Enkel Bestand haben. Der Grundsatz der Nachhaltigkeit muss deshalb Grundregel allen politischen Handelns werden. Solche grundlegenden Prinzipien werden in Deutschland im Grundgesetz festgeschrieben. Deshalb wollen wir den Impuls des bayerischen Ministerpräsidenten Markus Söder aufnehmen, auf Nachhaltigkeit insgesamt beziehen und anregen, nachhaltige Entwicklung als Staatsziel ins Grundgesetz zu schreiben. Dies entspricht auch einer langjährigen Forderung des Nachhaltigkeitsrats der Bundesregierung und des Nachhaltigkeitsbeirats des Bundestags. Denn bislang sind lediglich Teilbereiche der Nachhaltigkeit und ihrer drei Dimensionen im Grundgesetz verankert: Die Ökologie durch den Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen, die Ökonomie über die Schuldenbremse und das Soziale mit dem Sozialstaatsprinzip. Erst die Verankerung des Nachhaltigkeitsprinzips selbst verpflichtet auf Leitlinien für eine konsequente, alle Bereiche und Ebenen durchdringende Politik. Und da wird es dann auch schnell konkret: Denn zur Nachhaltigkeit gehört die „schwarze Null“ als Beitrag zur Generationengerechtigkeit genauso wie die „grüne Null“ im Sinne von Klimaneutralität.
Wir wollen mit Optimismus und Offenheit, mit Forschergeist und Fantasie sowie mit Mut zum Machen eine Transformation angehen, die sinnstiftend wirkt und im Alltag durch mehr Lebensqualität überzeugt. Dadurch werden wir im Sinne von Alexander Gerst „die Kurve kriegen“ zu einer vorbildlichen Umsetzung des Prinzips der Nachhaltigkeit und zur Bewältigung der Herausforderung des Klimaschutzes in Deutschland. Das ist unser Beitrag zum Erfolg des Pariser Klimaabkommens sowie des mit einem Paket von 17 Nachhaltigkeitszielen ebenfalls unter dem Dach der UN vereinbarten „Weltzukunftsvertrags“.
Dieser Gastbeitrag der CDU-Vorsitzenden Annegret Kramp-Karrenbauer gemeinsam mit dem stv. Fraktionsvorsitzenden von CDU/CSU, Andreas Jung, erschien zuerst in der Welt am Sonntag, 11. August 2019