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Interview von Herrmann Gröhe auf Focus Online
CDU-Generalsekretär Herrmann Gröhe gab „Focus Online“ das folgende Interview. Die Fragen stellte Martina Fietz.
FOCUS Online: Können Sie nachvollziehen, dass viele Menschen in Deutschland Sorge um die christliche Prägung der Kultur haben, nicht zuletzt wegen der wachsenden Zahl von Muslimen im Land?
Hermann Gröhe: Wir haben in der dritten Generation hunderttausende Menschen islamischen Glaubens in unserem Land. Sie leben mit ihrer Religion unter uns. In dem Maße, in dem sie sich ganz auf Deutschland einlassen, verändern sich bei vielen die Lebensgewohnheiten. Aus der Mietwohnung wird das Eigenheim, aus der Anstellung wird die Selbständigkeit, aus dem Gebetsraum im angemieteten früheren Möbellager wird die selbst errichtete Moschee. Die größere Sichtbarkeit des Fremden löst Unsicherheit aus. Fremdheit ist immer eine Herausforderung. Vor allem für die, die selbst nicht genau wissen, wo sie herkommen…
FOCUS Online: Also für all die, die mit den christlich-abendländischen Wurzeln nicht mehr viel anfangen können?
Gröhe: Die christliche Prägung unseres Landes ist nicht in Gefahr, wenn eine religiöse Minderheit in die Moschee, in die Synagoge oder in ein anderes Gotteshaus geht. Eine weit größere Rolle spielt es, wenn sich ein nicht unerheblicher Teil der Kirchenmitglieder nur zu Heiligabend an seine christlichen Wurzeln erinnert. Sorgen machen mir nicht die vollen Moscheen, sondern viel zu viele leere Kirchen. Wer seine eigene Herkunft kennt, dem fällt die Wertschätzung leichter für das, was anderen heilig ist. Gerade bei Papst Benedikt XVI. sieht man, wie ein selbstbewusstes Christentum und der Respekt gegenüber anderen Religionen zusammengehören. Und genau darum geht es: Wir müssen unsere eigenen Wurzeln kennen. Dann können wir auch andere Religionen besser achten. Zugleich brauchen wir die Kraft zur Differenzierung.
FOCUS Online: Differenzierung ist sicher richtig. Einer breiten Öffentlichkeit wird der Islam in Deutschland allerdings vor allem bewusst im Zusammenhang mit Islamismus, wie aktuell in dem Prozess um Murat K., der bei einer Demonstration von Salafisten Polizisten angegriffen und verletzt hat.
Gröhe: Gewaltbereiten Salafisten muss der Rechtsstaat mit aller Härte entgegentreten. Gleichzeitig gilt: Wir werden den Kampf gegen islamistischen Extremismus nur gewinnen, wenn wir dies gemeinsam mit den friedliebenden rechtstreuen Muslimen in unserem Land – und das ist die ganz überwiegende Mehrheit – tun.
FOCUS Online: Hat das Urteil Ihrer Meinung nach eine Signalwirkung?
Gröhe: Mit dem Urteil wird deutlich gemacht: Wir lassen nicht zu, dass radikale Gruppierungen auf deutschen Straßen einen Glaubenskrieg führen. Religiöser Fanatismus kann keine Rechtfertigung dafür sein, mit einem Messer auf drei Polizisten einzustechen.
FOCUS Online: Ist der Rechtsstaat genügend gewappnet?
Gröhe: Ja, ich habe großes Vertrauen in unsere Sicherheitsbehörden, auch wenn es dort in Teilen Versagen gegeben hat, etwa mit Blick auf die rechtsextreme Szene. Es ist jedoch völlig verfehlt, wenn etwa Politiker der Grünen Polizei und Verfassungsschutz einem Generalverdacht aussetzen und unsere Sicherheitsbehörden schwächen, ja gar abschaffen wollen. Das ist die völlig falsche Antwort! Gewaltbereiter Extremismus, egal ob religiöser oder politischer Natur, muss von einer offenen Gesellschaft rechtsstaatlich, aber hart bekämpft werden. Das Motto muss lauten: Wehret den Anfängen.
FOCUS Online: Wenn Sie es als wichtig bezeichnen, die eigenen Wurzeln zu kennen, stellt sich die Frage, ob die Christen in Deutschland Ihnen zu „lau“ sind, wie es in der Bibel heißt?
Gröhe: Es ist kein Zufall, dass die christlichen Kirchen seit längerem die missionarische Herausforderung in Deutschland betonen. In diesem Monat wird an den 50. Jahrestag des Zweiten Vatikanischen Konzils erinnert, an dem deutsche Bischöfe und Theologen, nicht zuletzt der heutige Papst, maßgeblich beteiligt waren. Wir gehen zu auf das Gedenken an 500 Jahre Reformation im Jahr 2017. Beide Jubiläen sind gute Gelegenheiten, auch deutlich zu machen, dass unser politisches Gemeinwesen ohne die Beiträge des Christentums nicht denkbar wäre. Es würde unserer inneren Verfasstheit, aber auch unserer Gesprächsfähigkeit gegenüber andersgläubigen oder nichtgläubigen Menschen gut tun, wenn wir uns dies immer wieder bewusst machen. Die Kirchen haben mit ihrer ausdrücklichen Annahme dieser missionarischen Aufgabe meine ganze Sympathie.
FOCUS Online: Könnten die Kirchen offensiver agieren?
Gröhe: Jeder Einzelne ist hier gefordert! Und es ist an den Kirchen, die Sprachfähigkeit der normalen Gemeindemitglieder zu stärken, wenn es um den Glauben und ethische Grundüberzeugungen geht. Christen sollten zum Beispiel widersprechen, wenn die Zulässigkeit aktiver Sterbehilfe gefordert wird. Und auch die dramatische Verrohung in Teilen der Gesellschaft, die sich immer wieder in brutaler Gewalt zeigt, macht deutlich, dass es unserem Gemeinweisen gut täte, die Wertorientierung zu stärken.
FOCUS Online: Müssen wir uns aber nicht eingestehen, dass das Christliche immer mehr abnimmt und das Atheistische in Deutschland zunimmt?
Gröhe: Es hat Traditionsbrüche gegeben, ohne Frage. Wenn bei einer TV-Befragung auf einem Weihnachtsmarkt kaum einer den Sinn von Weihnachten, die Feier der Geburt Jesu, nennen kann, zeugt das von einem besorgniserregenden Analphabetismus im Religiösen. Auf der anderen Seite vertreten viele Menschen, die sich selbst nicht als religiös bezeichnen würden, die Auffassung, christliche Werte sollten in der Gesellschaft einen hohen Stellenwert genießen. Dazu gehört, dass nicht nur Materielles und Leistungsfähigkeit zählen dürfen, dass das Gemeinwohl im Blick bleiben muss.
FOCUS Online: Also muss eine sinkende Zahl von Christen die kulturelle Basis dieses Landes sichern?
Gröhe: Es gibt kaum ein Land in der Welt, in der es so einfach ist, sich – privat wie öffentlich – zu seinem Glauben zu bekennen. Wir haben vielleicht zu lange gedacht, Pluralismus bedeute, andere mit unserer Meinung nicht zu behelligen. Umgekehrt wird ein Schuh daraus: Weil wir in einer bunten Gesellschaft leben, sollten wir Christen kraftvoll unsere Farbe einbringen.
FOCUS Online: Sie organisieren den Wahlkampf der CDU 2013. Was wird aus heutiger Sicht das zentrale Thema im kommenden Jahr?
Hermann Gröhe: Sicherlich wird die Entwicklung in Europa im Mittelpunkt stehen, eng verknüpft mit der wirtschaftlichen Entwicklung unseres Landes. Viele Menschen wissen, dass Europa in deutschem Interesse ist. Zugleich wollen sie, dass Deutschland nicht überfordert wird. Sie beschäftigt die Frage, wie die gute wirtschaftliche Entwicklung verstetigt werden kann. Mit Angela Merkel an der Spitze machen wir deutlich, dass die Weiterentwicklung Europas zur Stabilitätsunion und die Stärkung unserer eigenen Wettbewerbsfähigkeit zusammengehören. Wir müssen Kurs halten und unsere Stärken ausbauen. Dazu gehört die Modernisierung unserer Infrastruktur.
FOCUS Online: Was heißt das?
Gröhe: Deutschland hat durch seine leistungsfähige Infrastruktur einen Standortvorteil im internationalen Wettbewerb, diesen Vorteil wollen wir erhalten und ausbauen. Wir müssen massiv investieren – bei Straße und Schiene wie auch in die moderne Breitbandversorgung. Der Leitantrag für unseren Bundesparteitag enthält die Forderung nach einem Investitionsprogramm für die Bundesfernstraßen, das 25 Milliarden Euro für die Jahre 2014 bis 2017 umfassen soll…
FOCUS Online: Woher wollen Sie die 25 Milliarden nehmen?
Gröhe: Wir müssen die Kraft haben, im Haushalt umzuschichten. Mit unserem Leitantrag für den Parteitag ziehen wir keineswegs die Spendierhosen an. Wir wollen die Haushaltskonsolidierung konsequent fortsetzen, zugleich aber gut überlegt investieren. Zu den Schwerpunkten der vergangenen Jahren – Bildung, Forschung und Familien – muss die Infrastruktur hinzukommen. Wenn sich die gute Entwicklung auf dem Arbeitsmarkt fortsetzt, werden auch neue Spielräume entstehen. Ein Kraftakt zugunsten der Infrastruktur ist dann vertretbar.
FOCUS Online: Steht uns ein Lagerwahlkampf bevor? Rot-Grün setzt voll auf den Wechsel?
Gröhe: Ich erwarte eine harte Auseinandersetzung. Es wird dabei um die klare inhaltliche Alternative gehen: Auf der einen Seite steht die bürgerliche Politik, die Chancengerechtigkeit für alle will. Auf der anderen Seite steht linke Umverteilungspolitik. SPD und Grüne werden untergehakt für Steuererhöhungen kämpfen. Beide Parteien sind in den vergangenen Jahren wieder stark nach links gerückt. Das kann auch Peer Steinbrück nicht verbergen.
FOCUS Online: Sie spielen an auf den Widerspruch zwischen Partei und Kandidat bei der SPD…
Gröhe: Offensichtlich ist doch, dass die Parteilinke Peer Steinbrück fesseln will, bevor dieser die eingeforderte Beinfreiheit nutzen kann. Er will zwar der SPD mehr Stolz auf die Agenda 2010 einhauchen. Doch letztlich gibt er seinen Namen her für ein Programm, das auf die Entsorgung eben dieser Agenda zielt. Steinbrück steht nicht nur für markige Sprüche, sondern vor allem für ein linkes Programm.
FOCUS Online: Glauben Sie ihm, dass er nicht noch einmal in ein Kabinett Merkel eintreten würde?
Gröhe: Die SPD wird jedes andere Bündnis einer Großen Koalition vorziehen…
FOCUS Online: Weil sie als Verlierer daraus hervorgegangen ist…
Gröhe: Was aber nicht an der Arbeit der Großen Koalition lag, sondern daran, dass die SPD sich nicht zu den gemeinsamen Erfolgen bekannt hat. So wie sie sich auch von der Agenda 2010 der Regierung Schröder distanziert hat.
FOCUS Online: Die Union betont, die schwarz-gelbe Koalition fortsetzen zu wollen. Doch kann Ihnen passieren, dass die FDP dafür zu schwach ist. Was dann?
Gröhe: Wir haben gute Chancen, ein deutlich stärkeres Ergebnis als 2009 herauszuholen…
FOCUS Online: Damals lagen Sie bei 33 Prozent…
Gröhe: Wir können auf eine große Zustimmung in der Bevölkerung zu der Politik der Bundeskanzlerin setzen. Auch bin ich der festen Überzeugung, dass die FDP im nächsten Bundestag vertreten sein wird. Das Ergebnis wird umso besser ausfallen, je glaubwürdiger denen in den Reihen der Liberalen widersprochen wird, die mit der Ampel-Koalition liebäugeln.
FOCUS Online: Horst Seehofer hat FDP-Chef Rösler zu mehr Führung gemahnt. Hat er Recht?
Gröhe: Wir sind in den nächsten Monaten insgesamt gefordert, in der Koalition erfolgreich zu arbeiten und Dinge, die wir uns vorgenommen haben, auch umzusetzen. Dafür sind natürlich in besonderer Weise diejenigen zuständig, die die Parteien und Fraktionen führen. Hinzukommen muss die Bereitschaft, einander Erfolge zu gönnen.
FOCUS Online: Also wann kommt das Betreuungsgeld?
Gröhe: Bald.
FOCUS Online: Mit welchen Gegengeschäften?
Gröhe: Mit guten Lösungen in der Sache.
FOCUS Online: Wofür ihr schwacher Koalitionspartner FDP kompromissfähig werden muss. Es bleibt das strategische Dilemma der Union, dass Sie im Wesentlichen nur über einen Koalitionspartner verfügen.
Gröhe: Die Union muss eine Stärke erreichen, die es schwer macht, gegen sie Mehrheiten zu bilden…
FOCUS Online: Wie sehr schadet der CDU in diesem Zusammenhang, dass ihre stellvertretende Vorsitzende und Bundesbildungsministerin Annette Schavan um ihren Doktortitel kämpfen muss? Hat die Überzeugungskraft nicht schon gelitten, egal wie das Verfahren ausgeht?
Gröhe: Ich warne dringend vor Vorverurteilungen! Diesen Appell richte ich insbesondere an jene in der Opposition, die sich wieder einmal gehörig im Ton vergreifen. Annette Schavan hat Anspruch auf ein faires Verfahren, das nach den inakzeptablen Durchstechereien erst einmal wieder sichergestellt werden muss.
FOCUS Online: Der frühere CDU-Ministerpräsident von Rheinland-Pfalz und Thüringen, Bernhard Vogel, spricht davon, es gebe 2013 nur zwei Möglichkeiten: Rot-Grün oder Schwarz-Grün.
Gröhe: Rot-Grün ist weit von einer Mehrheit entfernt. Zugleich sehe ich kaum inhaltliche Überschneidungen, die mich über Schwarz-Grün nachdenken lassen. Ich sehe nicht, wie wir etwa die Herausforderungen der nächsten Jahre, wie zum Beispiel die Modernisierung der Infrastruktur, gemeinsam mit den Grünen bewältigen sollten.
FOCUS Online: Wie wollen Sie Ihre Kernanhänger mobilisieren? Angela Merkel ist wieder auf einer Regional-Tour. Was bieten die Konferenzen vor Ort mehr als Wohlfühlelemente?
Gröhe: Es ist doch prima, wenn sich Mitglieder in ihrer Partei wohlfühlen. Die Regionalkonferenzen bieten aber vor allem den wechselseitigen Austausch. Wir in der Parteiführung hören genau hin, was die Basis bewegt. So ist etwa der Beschluss des Bundesparteitages von 2011 zur Lohnuntergrenze sehr stark in den Regionalkonferenzen vorbereitet worden.
FOCUS Online: Eine wirkliche Debatte kommt doch nicht auf. Der eine fragt zur Bildung, der nächste zum Euro. Wo ist der Dialog?
Gröhe: Die Mitglieder nutzen die Chance, Themen, die ihnen wichtig sind, an die Parteiführung heranzutragen. Auffallend ist: Vor zehn Jahren waren es vor allem Funktionsträger, die sich zu Wort gemeldet haben. Mittlerweile treten vor allem Mitglieder ohne Amt ans Mikrophon. Das ist für die Diskussionskultur in der Partei ein echter Gewinn.