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De Maizière: Ein Land, das sich nicht verändert, hat keine gute Zukunft
Herr Minister, vor einem Jahr begann die Flüchtlingskrise. Wie haben Sie persönlich dieses zurückliegende Jahr erlebt?
Thomas de Maizière: Es war sicherlich eins der anstrengendsten Jahre, das ich in meinem beruflichen Leben hatte. Aber im Nachhinein bin ich dankbar, wie viele Menschen mitgeholfen haben, damit wir diesen Flüchtlingsstrom gut bewältigen konnten.
Wie hat Deutschland diese Situation gemeistert?
Zwischendurch haben ja viele gesagt: Wir schaffen das nicht. Und wir haben selbst den Atem angehalten. Aber es haben so viele mitgeholfen. Die öffentlichen Verwaltungen haben Großartiges geleistet. Von den Bürgermeisterämtern über die Landräte, die Länder, die Kommunen, die Bundespolizei, die Bundeswehr, den Zoll – und natürlich hunderttausende ehrenamtliche Helfer. Es gab keine Obdachlosigkeit, und wir haben die Verteilung seit der Einführung der Grenzkontrollen ordentlich hin bekommen.
Das Asylrecht wurde massiv verschärft, weitere Länder wurden als sichere Herkunftsländer eingestuft und die Kommunen werden bei der Bewältigung der Herausforderungen entlastet. Wie geht es mit der Umsetzung voran?
Zum einen haben wir die Gesetze schnell erarbeitet. Das Asylrecht wurde verändert und auch verschärft wie lange nicht mehr. Gesetze machen ist das eine, aber die Umsetzung ist das andere. Und da ist vieles noch zu tun. Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge muss die Verfahren weiter beschleunigen. Die Länder und Kommunen müssen die Entscheidungen des BAMF umsetzen: Bei Ablehnung eines Antrags folgt die Rückführung oder Abschiebung, die Anerkennung führt zu einer Aufenthaltserlaubnis.
Die Zahl der Rückführungen und Abschiebungen ist sehr angestiegen, aber auch das reicht noch nicht aus. Am Vollzug der Gesetze müssen alle gemeinsam noch arbeiten.
Für die, die in Deutschland bleiben, geht es nun darum, sich in unserer Gesellschaft zu integrieren. Wie wichtig ist in diesem Zusammenhang das Integrationsgesetz?
Wir haben das erste Integrationsgesetz für Deutschland verabschiedet, das ist eine entscheidende Zäsur. Wir tun das nicht nur aus Nächstenliebe, sondern auch im nationalen Interesse. Menschen, die sowieso bleiben werden, müssen wir integrieren. Das ist gut für uns, denn es werden möglicherweise Steuerzahler, Beitragszahler und gute Nachbarn aus ihnen.
Wenn wir die Menschen nicht integrieren, entstehen soziale Probleme und Ghettos. Das Integrationsgesetz mit seinen vielen Bestandteilen des Förderns und Forderns ist eine zentrale Voraussetzung für gelingende Integration.
Viele Menschen haben dennoch die Sorge, dass sich Deutschland durch viele Zuwanderer stark verändert. Wie begegnen Sie dieser Befürchtung?
Ich verstehe diese Sorgen. Aber: Veränderung gehört zum Leben. Ein Land, das sich nicht verändert, hat keine gute Zukunft. An einigen Stellen wird Deutschland sich verändern. Wir werden mehr Kinder mit Migrationshintergrund in den Schulen haben.
Integration ist eine mühsame und langwierige Aufgabe. Das wird dauern. Wir werden uns an mehr Muslime in unserem Land gewöhnen. Umgekehrt erwarten wir Veränderung von denen, die zu uns kommen: Anerkennung unserer Werteordnung, die Gleichbehandlung von Mann und Frau, keine Kriminalität und Anerkennung dessen, was wir Leitkultur nennen. Das erwarten wir. Und in diesen Punkten wollen wir uns nicht verändern. Wir wollen nicht unser Grundgesetz verändern, wir wollen nicht unsere Lebenshaltung verändern. Wir sind in einer Situation, die auf beiden Seiten viel verlangt. Aber wenn wir es gut machen, liegen darin auch Chancen für Deutschland.
Vor kurzem hat in Berlin der Digitale Flüchtlingsgipfel stattgefunden. Viele Initiativen haben daran teilgenommen und ihre Ideen vorgestellt – von der Ankommen-App bis zur webbasierten Arbeits- und Wohnungsvermittlung für Flüchtlinge. Was wurde mit dem Gipfel erreicht?
Die Grundidee war, die vielen Angebote, die es lokal für Flüchtlinge gibt, besser miteinander zu vernetzen. Viele Flüchtlinge fragen sich: Wo finde ich einen Deutschkurs? Was ist ein Ankunftsnachweis? Welche Regeln gelten in Deutschland? Wer ist zuständig für bestimmte Entscheidungen? All das kann man auch über das Internet vermitteln. Der Flüchtlingsgipfel hat erreicht, dass wir einen Ansatz haben, um diese Angebote besser zu vernetzen, um ihre Reichweite zu erhöhen.
Herr Minister, schreckliche Attentate bestimmten in den vergangenen Wochen die Schlagzeilen. Hingegen ist es den deutschen Behörden Anfang Juni gelungen, eine Terrorzelle auszuheben, die Anschläge in der Düsseldorfer Altstadt geplant hatte. Wie ist die Gefährdungslage im Moment und was bedeutet das für die Behörden?
Die Lage ist seit Monaten ernst. Wir stehen im Fokus des internationalen Terrorismus – als Deutschland, als Europa, als der Westen, und deswegen kann man nicht sagen, die Anschläge in Frankreich hätten nichts mit uns zu tun. Die Sicherheitsbehörden tun alles, um zu verhindern, dass es in Deutschland zu einem Anschlag kommt.
Wir sind gut aufgestellt, haben ein Gemeinsames Terrorabwehrzentrum. Wir haben mehr Polizeikräfte einstellen können. Wir bilden robuste Einheiten, um in einer Terrorlage entschlossen agieren zu können. Wir haben den internationalen Informationsaustausch verbessert. Wir haben Anti-Terrorgesetze gemacht. Und trotzdem, bei aller Vorsicht, bei aller Wachsamkeit, lässt sich ein Terror-Anschlag auch in Deutschland nicht völlig ausschließen.
Wie gut funktioniert aus Ihrer Sicht die Zusammenarbeit der Sicherheitsbehörden in Europa?
Gut, aber noch nicht gut genug. Polizei ist überwiegend Sache der Nationalstaaten. Europol klingt nach einem europäischen Bundeskriminalamt oder FBI, ist aber nur eine Sammel- und Koordinierungsstelle. Die Nachrichtendienste sind traditionell zurückhaltend mit dem Austausch von Informationen. Aber das hat sich massiv geändert nach den Anschlägen in Frankreich und Belgien. Wenn jemand in Deutschland einreist, dann über Frankreich nach Belgien fährt und in Brüssel einen Terroranschlag verübt, zeigt das, dass wir besser zusammen arbeiten müssen. Das ist zum Teil gelungen. Wir behandeln aktuell das Anti-Terrorgesetz im Deutschen Bundestag, das vorsieht, dass wir mit unseren Verbündeten gemeinsame Dateien führen dürfen. Die Zusammenarbeit mit den Amerikanern ist bereits verbessert worden. Der Informationsaustausch ist das A und O.
Terroristen arbeiten international, also müssen auch Sicherheitsbehörden international arbeiten. Wissen ist Macht, und deswegen ist geteiltes, internationales Wissen eine machtvolle Antwort auf Terroristen.
Terror und Kriminalität gibt es auch im Internet. Was tut die Bundesregierung, um Bürger und Unternehmen zu schützen?
Die Kriminalität im Internet nimmt zu, es gibt Hacker-Angriffe, Betrügereien, Kinderpornografie, Verabredungen zu Verbrechen. Darauf muss die Antwort sein: Der Staat muss, bezogen auf Taten im Internet oder mit Bezug zum Internet, Strafverfolgung betreiben können. Dafür braucht man gut ausgebildete Polizisten, gute Technik und gute Gesetze. Wir haben die Vorratsdatenspeicherung nach vielen Jahren hinbekommen, und auch Gesetze zur Online- und Telekommunikationsüberwachung. Außerdem brauchen wir die Mitarbeit der Internet-Unternehmen. Inzwischen gelingt es gut, dass kinderpornografische Angebote von den Unternehmen selbst aus dem Netz genommen werden. Das muss auch für Hass-Bilder, Hass-Videos, für Anleitungen zum Bombenbau und ähnliches gelten. Ich erwarte eine Selbstverpflichtung der Unternehmen. Aber, ohne Umsicht der Betroffenen geht es auch nicht. Wenn man eine Online-Überweisung leichtfertig macht oder mit unsicheren Kennwörtern tätigt, wenn man keine Anti- Viren-Programme auf seinem Endgerät installiert hat, dann wird man leichter Opfer eines Angriffs.
Sommerzeit ist Reisezeit. Und damit nimmt auch die Angst vor Wohnungseinbrüchen zu. Wie sieht der Plan der Bundesregierung gegen die organisierte Kriminalität in diesem Bereich aus?
Der Anstieg der Wohnungskriminalität ist in der Tat eine große Herausforderung. Überwiegend für die Bundesländer, denn die sind dort zuständig. Wir haben auf der letzten Innenministerkonferenz in Saarbrücken gerade über dieses Thema beraten. Es gibt nicht das eine Instrument gegen Wohnungseinbruch, sondern ein Bündel von Maßnahmen. Zunächst brauchen wir eine gute Analyse der Taten. Wir brauchen dann – und das haben wir eingerichtet – eine Koordinierungsstelle beim Bundeskriminalamt, die diese Informationen zusammenfasst.
Wir brauchen moderne Technik, wie etwas „predictive policing“ und Videoüberwachung. Und wir wollen verstärkte Kontrollen, auch mit Hilfe der Bundespolizei, an den Grenzen, die sog. „Schleierfahndung“. Schließlich wissen wir auch, dass 40 Prozent der Einbrüche im Versuchsstadium stecken bleiben, etwa wegen technischer und baulicher Sicherungsmaßnahmen. Und deswegen ist zusätzlich zu den polizeilichen Maßnahmen sehr hilfreich, wenn Bürger sich selber schützen.
Was kann Ihrer Meinung nach jeder selbst tun, um Einbrüche zu verhindern?
Wenn man den Tag über arbeiten geht, das Küchenfenster gekippt lässt und die Küche sich oberhalb der Garage befindet, dann ist das nicht besonders umsichtig. Aber wir wollen auch nicht, dass die Menschen ihre Häuser wie eine Festung ausbauen. Das ist zu teuer und so wollen wir nicht miteinander leben. Aber ein besserer Schutz, Achtsamkeit und Umsicht helfen auf jeden Fall.
Das Gespräch führte Christina Wegener.