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"Gott ist nichts Menschliches fremd"
In der Vorweihnachtszeit sprachen wir mit den Prälaten Martin Dutzmann und Karl Jüsten über das Reformationsjubiläum, den Advent und die Revolution der Weihnacht. Sehen Sie mehr dazu im neuen UNION Magazin - demnächst online!
Innerhalb eines halben Jahrtausends hat sich der Blick auf Martin Luther gewandelt. Was bedeutet die Reformation heute?
Dutzmann: Das ist in wenigen Sätzen kaum zu erfassen. Martin Luther hat ganz enorme Bedeutung gehabt. Natürlich in erster Linie für die Kirche, leider dann auch durch die von ihm nicht gewollte Kirchenspaltung. Aber ebenso viel Bedeutung hatten Luther und die anderen Reformatoren für das Gemeinwesen. In einer Schrift aus dem Jahr 1523 zum Beispiel hat Luther sehr deutlich die beiden „Regimente“, das kirchliche und das obrigkeitliche, unterschieden. Das war noch nicht die Trennung von Kirche und Staat, wie wir sie heute kennen, aber es ging schon in diese Richtung.
Oder die Bibel-Übersetzung: Den Menschen die Bibel in die Hand legen, damit sie selber ihren Glauben formen und verantworten können, das war Luthers Ansinnen. So hat er bis zum heutigen Tag die Eigenverantwortung der Menschen gestärkt. Und auch in der katholischen Kirche ist Luther kein Name, den man nicht aussprechen darf.
Jüsten: Den Wandel können Sie alleine schon daran erkennen, dass einige Gebete und Lieder aus der Feder Martin Luthers in unser neues Gotteslob aufgenommen wurden. Außerdem unternehmen wir in dem Reformationsgedenkjahr einiges gemeinsam. Luther kann uns Christen näher zu Jesus Christus führen, und so können wir gemeinsam neue Impulse für die Gestaltung dieser Welt bekommen. In theologischer Hinsicht sind noch einige Hausaufgaben zu machen, bis wir wieder eins sind oder zumindest noch stärker zueinander wachsen.
Dutzmann: Man sollte dabei aber eines im Blick behalten: Denken Sie sich einmal 50 Jahre zurück und schauen Sie, was in den letzten 50 Jahren, vor allem aber seit dem Zweiten Vatikanischen Konzil in Sachen Ökumene passiert ist. So viel war in den vorangegangenen 450 Jahren nicht geschehen!
Jüsten: Das stimmt natürlich. Und Luther hat uns auch gelehrt, als Kirche achtsam zu sein und uns immer wieder zu reformieren. Ich glaube, der Stachel der Kirchenspaltung, der uns heute noch im Fleisch sitzt, ist, dass die Kirche damals auf die berechtigten Reformideen Luthers nicht eingegangen war. Deshalb ist sie gut beraten, wenn aus ihrer Mitte heraus – Luther stammte ja aus der Mitte der Kirche – Reformanstöße kommen, diese aufzunehmen, wenn sie das Leben der Kirche positiv beeinflussen können.
Dutzmann: Luther hat es seiner katholischen Kirche aber auch nicht leicht gemacht. Beispielsweise hatte er eine Wortwahl, die in ihrer Deutlichkeit und Derbheit ihresgleichen suchte. Wenn der Papst sich als „Anti-Christ“ bezeichnet sah, sollte er es wohl schwer haben, Luthers Reformimpulse aufzunehmen. Von daher war das auch ein wechselseitiges Geschehen. Dass Luther und die katholische Kirche damals nicht wirklich zusammenkamen, kann man schon nachvollziehen.
Sie beide vertreten die Meinung, dass die Spaltung der Kirche vor 500 Jahren nicht gewollt war. Auf katholisch.de war zu lesen, Ziel ökumenischer Bemühungen sei das gemeinsame Abendmahl. Mit Blick auf Ihre Schilderungen, dass sich in den letzten Jahrzehnten wahnsinnig viel getan hat: Feiern wir wirklich gemeinsam? Oder sind die Unterschiede zwischen den Kirchen dann doch wichtiger?
Dutzmann: Letztlich ist es vor allem ein theologischer Punkt, der der Klärung bedarf. Und das ist die Frage nach dem Amts- und Kirchenverständnis. Denn daran hängt die Gemeinschaft beim Abendmahl. Was beim Abendmahl geschieht, darüber ist weitgehend Einigkeit erzielt. (blickt zu Jüsten)
Jüsten: Nicht in allem. Wir arbeiten daran, dass es nicht mehr kirchenspaltend sein muss.
Dutzmann: Tatsächlich gibt es selbst innerevangelisch zwischen der reformierten und der lutherischen Tradition unterschiedliche Auffassungen vom Abendmahl. Aber der Punkt, an dem es augenblicklich noch hakt, ist, dass es nach katholischem Verständnis in der Evangelischen Kirche kein geweihtes Amt gibt, das in der Lage ist, die Eucharistie zu spenden.
Also geht es nicht um die Aufhebung der unterschiedlichen Traditionen, sondern wirklich um ein Kernverständnis?
Jüsten: Ja, da haben Sie Recht. Aber im konkreten Glaubensleben werden die Differenzen geringer. Ich mache etwa die Erfahrung, dass milieuprägende Unterschiede der Kirche geringer werden. Das liegt unter anderem an so mancher konfessionsverbindenden Ehe, aber auch daran, dass in den Gemeinden mehr und mehr gemeinsam der Glaube gelebt wird. „Geht überhaupt nicht“ geht nicht mehr.
In meiner jetzigen Funktion habe ich so oft an evangelischen Gottesdiensten teilgenommen wie nie in meinen bisherigen Aufgaben. Dabei fällt mir auf, welcher Schatz auch bewahrt ist und wieviel Ähnlichkeit es im Grunde gibt, bis in die Liturgie hinein, sodass mir gar nicht als so unüberwindbar erscheint, was man früher als unüberwindbar angesehen hat. Da gibt es oftmals zu den Ostkirchen viel größere milieumäßige Differenzen, auch wenn es – aus katholischer Sicht – zu Sakramentsverständnis und Amtsverständnis kaum Unterschiede gibt.
Dutzmann: Die Milieubezogenheit scheint mir eine gute Deutungskategorie zu sein. Ein Gottesdienst in einer Pfingstkirche in Südamerika oder Afrika ist uns Evangelischen hierzulande mit Sicherheit fremder als eine römisch-katholische Messe in Deutschland.
Reinhard Kardinal Marx hat einmal gesagt, Weihnachten sei eigentlich revolutionär, weil Gott Mensch geworden ist. Wie übersetzen wir das jedes Jahr aufs Neue?
Dutzmann: Ich möchte zwei Dinge benennen, die mir in diesem Jahr besonders wichtig sind. Weihnachten heißt: Gott wird Mensch. Gott begibt sich also in eine nicht göttliche Sphäre, oder, wenn Sie so wollen, in die Fremde. Damit ist das Stichwort genannt: Gott wird selber zum Fremden. In der Bibel steht hierzu das Wort Jesu, der sagt: „Ich bin ein Fremder gewesen, und ihr habt mich aufgenommen“. Das ist eine klare Richtungsangabe für uns, wie wir mit fremden Menschen und solchen, die bei uns Schutz suchen, umgehen. Damit ist noch keine politische Entscheidung beschrieben, aber die Richtung ist für Christenmenschen jedenfalls klar. Fremde können uns nicht einfach egal sein, denn wenn wir mit Fremden zu tun haben, haben wir es mit Gott zu tun.
Und, zweitens: Dass Gott Mensch geworden ist, bedeutet, dass ihm nichts Menschliches fremd ist. Gott ist mitten unter uns. Er kennt uns und trägt uns. Das scheint mir ein wichtiger Gedanke zu sein mit Blick auf die Menschen, die zurzeit ihre Identität in Frage gestellt sehen und fragen: „Wer sind wir eigentlich noch, was können wir noch beeinflussen, wo wird eigentlich für uns Politik gemacht?“ Pegida, AfD und andere kochen darauf ihr Süppchen. Nein, für uns ist gesorgt und wir haben ein Fundament. Und zwar diesen Gott, der gesagt hat: „Ich bin bei euch“. Das hören wir zu Weihnachten.
Jüsten: Für mich ist erstens vor allem wichtig, dass die Initiative, in unsere Welt zu kommen, von Gott ausging. Und das ist etwas, was für unsere eigene Glaubenssituation von immenser Bedeutung ist. Gott macht den ersten Schritt, kommt uns entgegen. Die Menschen damals, eine kleine Gruppe war es zunächst, die Zeugen wurden dieses Ereignisses, haben fortan nicht mehr von „diesem Jesus“ gelassen. Sie waren fasziniert von ihm. Und so erhoffe ich es mir auch von meinem eigenen Glaubensleben, und für das Glaubensleben anderer Menschen, dass sie eine ähnliche Erfahrung machen, dass Gott Eintritt in ihr Leben findet und sie dann nicht mehr loslassen können.
Daraus hat sich alles Weitere ergeben und entwickelt. Auch die Art und Weise, wie ichmeinen eigenen Glaube lebe und mich dazu verhalte, wenn ich von Jesus Christus weiß und auch angesprochen fühle. Dann werde ich mein Leben an ihm ausrichten, an seinen Geboten, an den Idealvorstellungen von dem wie er meint, dass ein Leben auszusehen hat, wie eine Gesellschaft auszusehen hat.
Das Zweite: Das Weihnachtsfest hat in Deutschland eine ganz besondere Kultur angenommen. Es ist für uns Deutsche auch identitätsstiftend. Weihnachten wird nicht länger nur von denjenigen gefeiert, die sich als religiöse Menschen bezeichnen. In unserem Land und Kulturraum kann sich kaum jemand dem Zauber dieser Zeit entziehen. Ich weiß beispielsweise von Muslimen, die in Deutschland einen Christbaum kaufen und aufstellen, weil sie sagen, dass das zu unserem Land mit dazugehört. „Das wollen wir doch auch feiern“, heißt es dann.
Und ich glaube, dass eine gemeinsame Feierkultur ein Volk verbindet. Das Land kommt in den Weihnachtstagen einmal zur Ruhe, es besinnt sich. Die Menschen sind bei sich selbst. Oftmals wird es als Fest der Familie gefeiert. So ambivalent und schwierig es auch manchmal ist, wenn die Familie zusammenkommt. Aber beim Weihnachtfest werden sehr viele Sehnsüchte angesprochen. Wir sollten dankbar sein, dass die Christenheit allen in unserem Land dieses Fest geschenkt hat.
Viele Menschen in Deutschland sorgen sich, dass wir allzu leichtfertig unsere Identität aufgeben würden. Ist es in dem Kontext relevant, ob ich mich als Katholik oder Protestant definiere oder geht es hier um eine christliche Identität?
Jüsten: Die weihnachtlichen Traditionen sind gemeinsame. Von der evangelischen Seite haben wir längst den Adventskranz adoptiert. Der Herrnhuter Stern wird in vielen katholischen Familien aufgehängt. Da hat sich etwas angenähert, weil wir gemeinsam feiern.
Dutzmann: Als Kirchen haben wir gemeinsam die Aufgabe, den Kern des Festes wieder und wieder zu beschreiben. Weihnachten ist ja auch ein Fest des Konsums, des Verkaufens und Handelns. Das will ich gar nicht schlecht machen. Umso wichtiger aber ist es, den Gehalt der Weihnacht immer wieder herauszuarbeiten und da kann ich einen konfessionellen Unterschied nicht erkennen.
Jüsten: Für mich ist gerade auch die Adventszeit eine ganz besondere Zeit. Sie führt uns zum Weihnachtsfest, dem eigentlichen Höhepunkt. Daher begrüße ich es auch außerordentlich, dass die CDU ihren Parteitag nicht an einem Adventssonntag beginnen lässt, sondern erst am Tag darauf. So ist den Familien in der Partei auch die Möglichkeit gelassen, den Adventssonntag gemeinsam zu verbringen.
Dutzmann: Ich sehe das etwas weniger optimistisch. Die Adventszeit ist im Kern und dem Ursprung nach eigentlich eine Fasten und Vorbereitungszeit. Aber sie wird mehr und mehr zur vorgezogenen Weihnacht, die zudem lange vor dem 1. Advent beginnt. Insofern sehe ich unsere gemeinsame Aufgabe darin zu sagen: Um eurer selbst und um des Festes willen, nehmt es doch nicht leichtfertig vorweg!
Jüsten: Zur Wiederbelebung der Adventskultur hat es übrigens gemeinsame Initiativen der Kirchen gegeben. Vor einigen Jahren schon kam die Frage auf, ob es Sinn macht, dass bereits im September die ersten Christstollen im Supermarkt erhältlich sind. Wie steht es um das Verhältnis von Weihnachtsmärkten zu Rummelplätzen? Von „Glühwein ausschenken“ zu wirklicher adventlicher Besinnung? Das ist uns beiden ein Herzensanliegen, da wieder zu einer Adventskultur zu finden, die auf den Sinn des Weihnachtsfestes hinweist.
Und wenn Sie davon sprechen, dass in Deutschland im Moment viel debattiert wird, was unsere Identität denn sei: Wir müssen auch immer wieder Anstrengungen unternehmen, dass unsere Identität lebendig bleibt. Dass wir sie uns nicht verfremden lassen. In der Adventszeit zum Beispiel durch ungezügelten Konsum oder durch alle möglichen Partys, die dann als „Christmas-Partys“ gefeiert werden. Es ist Aufgabe von uns Kirchen, die Menschen für die Adventszeit zu sensibilisieren.
Dutzmann: In der Adventszeit lädt meine Dienststelle zu einem Adventsingen in die Französische Friedrichstadtkirche ein. Da kommen Abgeordnete aus dem Bundestag, Menschen aus dem Arbeitsumfeld des Parlaments und der Bundesregierung. Wir achten darauf, dass kein Weihnachtslied gesungen wird, sondern klassische Adventslieder. Sie haben eine andere, eine ernste Tonlage und großen Tiefgang. Wir bekommen danach immer dieselbe Rückmeldung: „Das hat gut getan“. Übrigens liegt die Friedrichstadtkirche am Gendarmenmarkt, wo gleichzeitig der Weihnachtsmarkt stattfindet…
Jüsten: Was ich großartig finde, ist die ungebrochene Spendenbereitschaft hierzulande, gerade in der Weihnachtszeit. Wie sehr die Menschen bereit sind, von dem, wovon sie haben, auch zu geben, ist beeindruckend. Dafür werden wir Deutschen weltweit sehr geachtet. Das hat sich seit dem Zweiten Weltkrieg entwickelt und ich habe die Hoffnung, dass diese gute Tradition noch lange gepflegt wird.
Herausragend finde ich in der Weihnachtszeit die Sternsingeraktion, an der sich immer mehr evangelische Kinder, zuweilen auch ungetaufte beteiligen. Viele Kinder und Jugendliche ziehen von Haus zu Haus und bringen in ökumenischer Verbundenheit den Weihnachtssegen, oftmals gerade auch den Einsamen, und werben für ein solidarisches Miteinander in der Einen Welt. Ich finde es wunderbar, dass das politische Berlin dieses Engagement honoriert. Der Bundespräsident und die Bundeskanzlerin laden die Sternsinger seit vielen Jahren zu sich ein, und bringen damit eine besondere Wertschätzung für dieses Engagement zum Ausdruck. Das finde ich gut.
Vielen Dank für das Gespräch.