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Kramp-Karrenbauer im Interview mit "Christ und Welt" (v. 24.04.2018)
Die „Christ & Welt“ erscheit seit 2010 als Zeitungsbuch bei der Wochenzeitung „Die Zeit“. Das Interview führte Merle Schmalenbach.
Christ&Welt: Frau Kramp-Karrenbauer, Sie haben mal gesagt, dass Sie aus einer katholisch-konservativen Familie kommen. Was kann man sich darunter vorstellen?
Annegret Kramp-Karrenbauer: Es war eine ganz normale Familie, wie es sie im Saarland sehr viele gab und auch heute noch gibt. Das heißt: Ich habe fünf Geschwister. Mein Vater war Lehrer, meine Mutter Hausfrau. Meine Eltern waren vom Krieg sehr geprägt und haben sich ihr Leben lang zur katholischen Kirche bekannt. Sie waren aber nicht strenggläubig. Sie gingen pragmatisch mit ihrer Religion um. Das ist eine typisch saarländische Wesensart.
Der Glaube hat Ihren Alltag geprägt?
Genau, sonntags gingen wir in die Kirche, vor dem Essen beteten wir. Der Glaube hat den Rhythmus unserer Woche bestimmt. Manches habe ich aber auch als Restriktion empfunden: Karfreitag fand ich als Kind zum Beispiel schrecklich. Es war ein Tag ohne Ablenkung und mit strikten Essensregeln. Erst später habe ich angefangen, mich selbst mit dem Glauben auseinanderzusetzen.
Was hat Sie da beschäftigt?
Ich wollte Messdienerin werden – wie meine Brüder. Mädchen durften das damals aber nicht. Das hat mich sehr geärgert. Damals habe ich zum ersten Mal gespürt: Ich will da mitmachen, und ich darf nicht. Auch in der Politik hat mich diese Frage später sehr umgetrieben: Wo stehen die Frauen, was dürfen Frauen – und was dürfen sie nicht? Wo müssen sie besonders kämpfen?
Haben Sie gekämpft, um doch noch Messdienerin zu werden?
Ich habe einen Weg gefunden. Es gab eine Frühmesse in einem Altenheim, das von Nonnen unterhalten wurde. Morgens um sieben Uhr! Da fanden sich nie genügend Jungs, die bereit waren, so früh aufzustehen. Nur in dieser Messe durften Mädchen dienen. Nur dort. Und das hab ich dann auch gemacht.
Ist Ihnen die Messe heute immer noch so wichtig?
Zur Wahrheit gehört auch: Früher bin ich oft in die Kirche gegangen, weil ich musste. Wenn ich heute gehe, dann, weil ich auch ein echtes Bedürfnis dazu habe. Trotzdem gehe ich nicht so regelmäßig wie meine Eltern damals.
Wie fand Ihre Mutter das denn?
Da gab es damals schon Anrufe nach dem Motto: »Na, ich hab dich gar nicht in der Kirche gesehen. Ist was dazwischengekommen?« Egal, wie erwachsen und wie alt man ist – man ist immer noch auf eine gewisse Weise Kind, solange die eigenen Eltern leben. Und bei bestimmten Anrufen steht man innerlich stramm.
Wie unterscheidet sich Ihr Glaube von dem Ihrer Eltern?
Mein Alltag ist nicht so geprägt und durchdrungen von den Traditionen, von den Vorgaben des Glaubens, wie das bei meinen Eltern der Fall war. Für mich ist Glaube etwas sehr Persönliches. Er richtet sich nach innen.
Sie haben selbst drei Kinder. Reden Sie mit ihnen über diese Themen?
Meine Kinder sind fast erwachsen und gehen ihre eigenen Wege. Sie haben eine sehr kritische Einstellung zur Kirche. Es sind vertauschte Rollen: Früher war ich diejenige, die ihren Eltern in dieser Hinsicht viel zugemutet hat. Meine Mutter hat immer zu mir gesagt: Ich wünsche dir, dass du auch mal Kinder bekommst und solche Diskussionen führen musst. Heute erkenne ich, wie schwierig es ist, als Mutter diese Gespräche zu führen.
Was daran ist schwierig?
Nehmen wir etwa die Frage: Soll ich im religionsmündigen Alter weiter Religionsunterricht in der Schule belegen oder wechsle ich zum Ethikunterricht? Man muss mit den Kindern darüber diskutieren. Man muss es aber auch akzeptieren, wenn sie sich anders entscheiden. Und trotzdem merke ich, wie schwer mir das fällt.
Wie wollten Sie Ihre Kinder vom Religionsunterricht überzeugen?
Mein Argument war, dass Religion etwas tiefer Gehendes ist als reine Ethik. Ethik ist aus meiner Sicht eine Grundlage, ein Regelwerk für ein gutes Leben miteinander. Aber diese transzendentale Verbindung – die fehlt mir in der Ethik. Diese Verbindung gibt dem Glauben eine Tiefe, von der ich mir wünschen würde – und mir gewünscht hätte –, dass meine Kinder diese möglichst lange in der Schule und in ihrem Leben mitnehmen.
Damit sie nicht so unbehaust sind auf der Welt?
Ja! Genau.
Sind Sie mit Ihrem Glauben auch manchmal am Ende?
Das ist eine schwierige Frage. Ich mache mir die wortgetreue Schilderung der Bibel nicht zu Eigen. Ich glaube nicht, dass Gott die Welt buchstäblich in sieben Tagen erschaffen hat, sondern habe die naturwissenschaftlichen Erklärungen für mich angenommen. Ich könnte nie ein strenggläubiger Mensch sein, der den Glauben im Zweifel über die Menschen stellt und sie in etwas hineinzwingen will. Ich bin das säkularisierte Modell einer Christin und glaube: Das ist der einzige Weg, wie Menschen verschiedener Religionen friedlich miteinander leben können.
Wie säkular muss die CDU sein?
Als Generalsekretärin der CDU ist mir wichtig, darauf hinzuweisen: Wir machen keine – und ich mache keine – christliche Politik. Das wäre auch ein ungeheuer großer Anspruch, den niemand erfüllen könnte. Wir machen Politik auf der Grundlage eines christlichen Menschenbildes. Das ist etwas anderes.
Wann ringen die Politikerin und Christin in Ihnen miteinander?
Als ich saarländische Innenministerin war, hatte ich die Verantwortung für Abschiebungen. Ich war mit Familien konfrontiert, die schon sehr lange hier lebten und für die sich Kirchengemeinden einsetzten. Diese Auseinandersetzungen waren sehr schwierig. Auch für mich selbst. Wenn Sie – und das ist in so einem kleinen Land wie dem Saarland unvermeidlich – demjenigen Auge in Auge gegenübersitzen, dessen Ausweisung Sie verfügen ... Das trifft sie auf eine ganz emotionale Art und Weise. Weil Sie wissen: Sie bestimmen den weiteren Lebensweg dieser Menschen mit. Ich habe oft das Argument gehört: Wie können Sie das als Christin eigentlich tun? Doch es gibt nun mal Recht und Gesetz. Und es ist meine Aufgabe, dafür zu sorgen, dass es eingehalten wird. Aber es bleibt ein Dilemma.
Sie waren mit 38 Jahren die erste Innenministerin in der Geschichte Deutschlands. Damals war die CDU gar nicht so viel anders als die katholische Kirche: Immer nur Männer an der Spitze. Und die Frauen vor allem eine Zierde. Was kann die katholische Kirche von der CDU Angela Merkels lernen?
Nun, einen Unterschied gibt es immerhin: Die CDU hat in ihren Parteiprogrammen nie Frauen für bestimmte Ämter ausgeschlossen.
Also haben die Frauen in der katholischen Kirche eben Pech gehabt?
Das sehe ich anders. Schließen Sie doch mal die Augen und denken Sie sich alle Frauen in der Kirche weg. Dann bleibt nur noch ein kleiner Rest von Kirche. Frauen haben den Glauben und die Kirche mitgeprägt und tun das natürlich auch heute.
Braucht die Kirche eine Frauenquote für Posten, die nicht an die Weihe geknüpft sind?
Ganz klar: Frauen müssen Leitungsfunktionen in der Kirche übernehmen. Das ist in vielen Bistümern bereits der Fall. Wir müssen das beobachten: Ist das ein Impuls, der zunimmt? Falls nicht, muss man andere Wege gehen. Ich könnte mir durchaus eine Frauenquote in der katholischen Kirche vorstellen.
Im Frauenbild der katholischen Kirche sind Frauen nicht mächtig, sie sind Mütter, sie sind entsexualisiert.
Viele Katholikinnen erkennen das nicht mehr an.
Wie können Frauen sich besser durchsetzen in der Kirche? Braucht es eher eine katholische Angela Merkel, die pragmatisch ist, nie lospoltert – oder eine katholische Alice Schwarzer, die wütend in den Kampf zieht?
Sagen wir es so: Es gab zu allen Zeiten sehr selbstbewusste Katholikinnen – etwa die Äbtissinnen in den Klöstern. Aber das Gefüge ist durch die Traditionen sehr männergeprägt. Es ist ein dickes Brett, das wir bohren. Das schafft man nicht, indem man lospoltert. Das ist mühsame Arbeit.
Und es kann lange dauern.
Vielleicht auch nicht. Die Kirche spürt einen großen Druck. Sie muss immer wieder neu um ihre Mitglieder werben. Die Zahl der Priester geht zurück. Beerdigungen werden deshalb von Laien übernommen. Es gibt eine normative Kraft des Faktischen, die verändert. Das muss man jetzt zum Positiven wenden.
Sollten Frauen Priesterinnen werden dürfen?
Ja. Ich wünsche mir, dass die Priesterinnenweihe kommt.
Warum sollte man eine Tradition ändern, die sich seit 2000 Jahren bewährt hat?
Ich bin keine Theologin, und wahrscheinlich werden jetzt alle über mich herfallen, aber mein Eindruck vom Neuen Testament ist, dass Frauen im Leben Jesu im spirituellen Sinne eine große Rolle gespielt haben. In den Urgemeinden wurde der Glaube unter lebensbedrohlichen Bedingungen weitergetragen von Frauen. Vieles von dem, was wir heute als Regelwerk sehen, ist über die Jahrhunderte entstanden. Es wurde von Institutionen geprägt, nicht von Jesus.
Aber Jesus hat doch auch keine weiblichen Apostel berufen.
In der Gefolgschaft von Jesus gab es starke Frauen. Außerdem war es eine andere Zeit. Man kann das nicht mit heute vergleichen.
Traditionalisten sagen: Wenn die Priesterinnenweihe kommt, dann geht die Kirche kaputt.
Es wäre ein immenser Bruch. Das ist mir vollkommen klar. Aber die katholische Kirche würde nicht daran zugrunde gehen. Der evangelischen Kirche haben Pfarrerinnen auch nicht geschadet – im Gegenteil.
Papst Johannes Paul II. hat 1994 die Priesterinnenweihe endgültig ausgeschlossen.
Es ist klar, dass das die Vorgabe der Amtskirche ist. Das hat die Diskussion aber nicht beendet.
Warum ist Ihnen das Thema so wichtig?
Frauen bestimmen die tägliche Arbeit in der Kirche. Das muss sich auch in Ämtern widerspiegeln.
Wären Sie selbst gerne Priesterin geworden?
Ich habe die eine oder andere Kanzelpredigt gehalten bei den Protestanten. Meine Kinder haben immer behauptet, dass mir das liegt. Insofern: Ich hätte mir vorstellen können, selbst Priesterin zu werden. Aber ich weiß, wie unmöglich das gewesen wäre. Heute orientiere ich mich deshalb in einem ersten Schritt an einem realistischeren Ziel – und das ist die Diakoninnen-Weihe.
Es gibt den Vorschlag, das Diakoninnenamt nicht an die Weihe zu knüpfen. Das wäre doch eine Lösung.
Das wäre ein fauler Kompromiss. Man kann nicht sagen: Damit wir an der Frauenfront ein bisschen Ruhe haben, gibt es so eine Art Diakonat light. Wir müssen für das echte Ziel, für das echte Diakonat kämpfen.
Was soll denn der Mehrwert am Diakoninnenamt sein?
Mal anders gefragt: Was bringen Frauen nicht mit, außer dass sie Frauen sind? Was fehlt ihnen, dass sie diese Weihe nicht erhalten dürfen? Dass sie nicht Diakoninnen werden dürfen? Außer der Tatsache, dass sie Frauen sind, konnte mir das noch niemand positiv beantworten!
Denken die Frauen zu klein? Theoretisch könnten sie doch Kardinälinnen werden.
Wie bitte?
In der Kirchengeschichte war die Zugehörigkeit zum Kardinalskollegium lange Zeit nicht an die Priesterweihe gebunden. An diese Tradition könnte der Papst einfach wieder anknüpfen, wie der Kirchenrechtler Thomas Schüller argumentiert. Warum ist das so unbekannt und so unvorstellbar?
Ich kann nur für mich sprechen. Ich bin eine normale Katholikin, und mir fehlt es an der Fantasie, zu sagen: Diakoninnen sind unmöglich, Priesterinnen sowieso. Aber Kardinälin – das geht. Das ist so, als wenn Sie sagen würden: In der Politik können Frauen keine Landtagsabgeordnete werden, Bundestagsabgeordnete auch nicht – aber Bundespräsidentin, das ist überhaupt kein Problem.
Wer soll denn die erste Kardinälin werden?
(lacht) Ich weiß es nicht.
Wäre das was für Sie?
Ich bin Generalsekretärin. Das ist genau die Aufgabe, die ich haben will.