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Merkel: In deutschem Interesse für andere mitdenken
Im Rahmen der Haushaltsverhandlungen kam es heute zur Aussprache zum Haushalt für Kanzleramt und Kanzlerin. Bundeskanzlerin Angela Merkel wies in ihrer Rede darauf hin, dass nationale Alleingänge, wirtschaftlich wie gesellschaftlich, in einer Welt der ständigen Veränderung von wenig Erfolg gekrönt sein werden.
Zu Beginn ihrer Ausführung zählte die CDU-Vorsitzende im Stakkato jüngste Erfolge der Arbeit der großen Koalition auf, darunter ein Wirtschaftswachstum, das bereits das neunte Jahr in Folge zu verzeichnen sei, 45 Millionen Erwerbtätige in Deutschland, ein weiterer ausgeglichener Bundeshaushalt. Erstmals wurde das Ziel erreicht, drei Prozent des Haushalts für Forschung und Entwicklung bereitzustellen. Der Schuldenstand des Landes werde im Zuge der guten Konjunktur und Beschäftigungslage bald wieder die Mastricht-Kriterien erfüllen.
Auch habe es erhebliche Verbesserungen bei der sog. kalten Progression gegeben, der soziale Wohnungsbau werde gefördert, mit dem Baukindergeld und der Verfügbarkeit von staatlichem Bauland seien weitere Anreize zur Eigenheimförderung geschaffen.
Um die Vereinbarkeit von Familie und Beruf zu stützten, seien mit der Brückenteilzeit, einem Rückkehrrecht in Vollzeit und dem Gute-Kita-Gesetz „richtige und wichtige Weichen gestellt“. Auch habe die Bundesfrauenministerin auf ein Phänomen hingewiesen, „nämlich Gewalt gegen Frauen in unserem Land“, das der Bundesregierung so wichtig erschien, „dass wir beschlossen haben, hier schnell etwas zu unternehmen“.
Es habe wesentliche Weichenstellungen im Rentensystem gegeben, bspw. eine Verbesserung von Mütterrente und Erwerbslosigkeitsrente.
Mit Blick auf den Dieselskandal betonte Merkel, dass auch die Möglichkeit der Sammelklage „gerade mit Blick auf VW“ eine gute Errungenschaft sei.
Außerdem habe die Bundesregierung eine Vielzahl an unterschiedlichen Gesetzen für die Steuerungsordnung von Flüchtlingen verabschiedet.
Im Strukturwandel in den Braunkohlegebieten sei man in die entscheidende Phase vorgedrungen. Die Kommission zur Vorbereitung des Kohleausstiegs in Deutschland soll die Zukunft der Betroffenen in den Mittelpunkt stellen. Es gehe darum, so Merkel „Klimawandel auf der einen Seite und Zukunft für Menschen in einen Einklang zu bringen“ und weiter: „Es geht nicht darum, als erstes irgendwelche Ausstiegsdaten zu beschließen, sondern es geht darum, Menschen Hoffnung zu geben, Zukunft zu geben, Strukturwandel wirklich vorzubereiten“, sagte sie.
Auch habe die Regierung gleichwertige Lebensverhältnisse in Stadt und Land auf ihrer Agenda und noch vor Weihnachten, so Merkel, werde ein Fachkräfteeinwanderungsgesetz beschlossen.
Wieder überall Weltklasse werden
In der Folge konzentrierte sich Merkel auf zwei Aspekte: Technologie und Migration. „Wir stehen in einem wahnsinnigen globalen Wettbewerb“, sagte sie und betonte, dass die besondere Herausforderung darin läge, den Wettbewerb so zu gestalten, „dass im Jahr 70 der Sozialen Marktwirtschaft der Mensch im Mittelpunkt dieser Umwälzungen steht und nicht die Technik“. Mit dem Ausruf „Wir wollen wieder überall Weltklasse werden“ kündigte sie eine Reihe von Initiativen und Strategien der Bundesregierung an, um in punkto Digitalisierung und Künstlicher Intelligenz noch mehr an Fahrt aufzunehmen.
Besonderes Augenmerk richtete sie dabei auf die digitale Vernetzung der Dienstleistungen von Bürgerämtern und staatlichen Leistungen. Zunächst hundert solcher Leistungen, im Jahr 2020 dann rund 570 Leistungen würden dann digital angeboten werden und so zu einer erheblichen Entlastung von Bürgern und auch Ämtern beitragen. „Die wesentliche Sache dabei: Vom Bürger her denken, und nicht unsere Projekte so durchsetzen, wie wir das gewöhnt sind“, mahnte die Kanzlerin.
Deutschlands Rolle in der Welt
„Politisch mindestens so relevant, eigentlich noch relevanter“ bezeichnete Merkel ihren zweiten Aspekt, nämlich, „wie die deutsche Vorstellung von der Zukunft in einer globalen Welt aussieht“. Sie erinnerte in diesem Kontext an die zurückliegenden Gedenkveranstaltungen der vergangenen Wochen, bspw. an den 100. Jahrestag zur Unterschrift des Waffenstillstands zum Ersten Weltkrieg. Es sei „bewegend“ gewesen, sagte Merkel, „weil dort in Compiègne noch kein Bundeskanzler stand“. Am Gedenkort, etwa 80 Kilometer nördlich von Paris, sei bisher eine Plakette auf einem Stein angebracht gewesen, auf der „ etwas vom verbrecherischen Hochmut des Deutschen Reiches stand“, so Merkel. Nunmehr sei diese Plakette ausgetauscht worden, gegen zwei neue. In deutscher und französischer Sprache würden sie die deutsch-französische Freundschaft betonen. „Symbolischer“, so Merkel, „kann man das nicht beschrieben, was dort geschehen ist.“
Migrationspakt gilt vornehmlich für andere
Mit Blick auf die anhaltende Debatte über den Pakt zur Migration, der von den Vereinten Nationen (UN) zur Ratifizierung durch die Mitgliedsstaaten vorgelegt wurde, erörterte Merkel zunächst Legitimation und Arbeitsweise der UN mit ihren vielen Unterorganisationen, wie dem Flüchtlingshilfswerk UNHCR, von dessen Arbeit auch Deutschland in erheblichem Maße profitiere.
Bei über 220 Krisenherden rund um den Globus und „alleine einer Milliarde betroffener Kinder weltweit“ spiele dieser Pakt natürlich eine übergeordnete Rolle, so die Bundeskanzlerin. Aber es stünde nichts in ihm und es werde nichts verlangt, was nicht längst Regelwerk in Deutschland sei: „Wir haben rechtlich bindende Verpflichtungen, an die wir uns halten. Und wir wollen, dass das in vielen anderen Ländern mehr als heute der Fall ist.“
Wer hier dagegen stehe, würde sich nationalistisch verhalten. Die sei „Nationalismus in reinster Form. Patriotismus ist, wenn man im deutschen Interesse auch andere miteinbezieht“, wurde die Kanzlerin deutlich.
In Großbritannien Partner sehen
Ein drittes Thema, das sie zum Ende Ihrer Ausführungen kurz streifte, war der Ausstieg Großbritanniens aus der Europäischen Union. Bis kommenden Sonntag gelte es, noch bestehende Vorbehalte der Spanier auszuräumen. Dann stünde der Unterzeichnung des Austrittsabkommens am Sonntag nichts mehr entgehen, „bei aller Traurigkeit“. Es bliebe jedoch „elementares Interesse Deutschlands“, eine gute Beziehung zu Großbritannien zu pflegen.
Im Rückblick, „30 Jahre zuvor“, sagte die Kanzlerin: „Die Welt des Kalten Kriegs war schrecklich, aber sie war übersichtlich.“ An ihrer Stelle sei eine schier unüberschaubare Gemengelage aus nationalen Interessen, aber auch Chancen für die europäische Einheit getreten. „In einer solchen Situation“, so Merkel, „kommt es auf jedes einzelne Land an. Ich stehe hier als ihre Bundeskanzlerin der Bundesrepublik Deutschland. Handeln im Sinne deutschen Interesses heißt, immer auch für die anderen mitzudenken.“
BSP