Wir müssen unser Land verteidigen

Der Terror von Halle will nicht in unsere Köpfe, ist kaum begreiflich: Widerspricht er doch diametral allem, was unserer Gesellschaft von politischen Gedenkveranstaltungen bis zum Schulunterricht seit Jahrzehnten „in die DNA“ geschrieben gilt. Nach dem Ende der nationalsozialistischen Barbarei hat sich das „Nie wieder!“ in das kollektive Gedächtnis eingebrannt, ist zum Teil unseres bundesdeutschen Staatsnarrativs geworden. Wie oft wurde das „Nie wieder!“ beschworen – nach dem Mord an Walter Lübcke, nach den NSU-Morden, nach Angriffen auf Flüchtlinge wie in Heidenau, nach Solingen, Mölln und Rostock-Lichtenhagen. Umso frustrierender ist die bittere Wahrheit, dass nach jedem „Nie wieder!“ doch ein „schon wieder“ kam.

Die unheilvolle, sich verlängernde Reihe von rechtextremistischem Terror macht deutlich, dass mit Blick auf diesen Irrweg der Ernst der Lage über Jahre hinweg unterschätzt wurde – auch von mir. Lange Zeit wurde diese Gewalt nicht als das verstanden, was es ist: das Ergebnis sich verfestigender Netzwerke, die die Auslöschung von Menschenleben genauso zum Ziel haben wie die Bekämpfung unserer freiheitlichen Grundordnung.

Es braucht mehr als heroische Worte, es braucht einen radikalen Kampf des Staates gegen diesen Menschenhass, gegen rechtsextreme Netzwerke, gegen die geistigen Brandstifter auf der Straße und im Netz. Um es in aller Deutlichkeit zu sagen: Sicherheitsgesetze sind keine Repression; sie sind Voraussetzung für unsere freiheitliche Grundordnung. Und diese freiheitliche Grundordnung hat Feinde. Es gibt einen rechtsextremen Sumpf in Deutschland, den wir trockenlegen müssen – durch entschlossenes, konsequentes und hartes Durchgreifen der staatlichen Sicherheitsbehörden.

Als Bundestagsabgeordneter gehöre ich zu denen, die es in der Hand haben, Sicherheitsbehörden handlungsfähig und durchsetzungsstark zu machen. Dazu gehört für mich, dass wir den Strafrahmen für Verleumdung und Beleidigung im Netz dringend anpassen. Wir müssen auch an die Löschfristen von Daten auffälliger Personen ran. Es gilt zu verhindern, dass Extremisten unter dem Radar verschwinden, nur weil sie für eine gewisse Periode „unauffällig“ sind. Und auch wenn es nicht überall im Land populär ist: Wir sollten das Netzwerkdurchsetzungsgesetz erweitern, um Betreiber von Plattformen zu verpflichten, bei strafrechtlich relevanten Fällen proaktiv an die Strafverfolgungsbehörden heranzutreten. Strafverfolgungsbehörden müssen außerdem bei besonders schweren Fällen von Verleumdung und Beleidigung im Netz Ermittlungen auch ohne Anzeige einleiten können.

Einig sollten wir uns alle darin sein, dass Waffen nicht in die Hände von Extremisten gehören: Wer nicht mit beiden Füßen auf unserer freiheitlich-demokratischen Grundordnung steht, darf keine Waffe in die Hände bekommen. Durch eine Abfrage der Waffenbehörden beim Verfassungsschutz soll es möglich sein, entsprechende Erkenntnisse bezüglich eines Antragstellers festzustellen. Und wir müssen auch weiterhin rechtsextreme Gruppierungen und Vereinigungen verbieten. Die Vereinigungsfreiheit endet dort, wo Zusammenschlüsse die Bekämpfung unserer freiheitlich-demokratischen Grundordnung zum Ziel haben.

Nicht nur Halle zeigt: Unser Land und unsere freiheitliche Grundordnung werden von innen angegriffen. Wir müssen unser Land verteidigen. Dafür müssen wir entschlossen den Resonanzboden für solch menschenverachtende Taten eindämmen. Denn mit seiner Radikalisierung steht der Täter nicht nur für sich, sondern er hat ideologische und auch aktive Unterstützer in einer gefährlichen Ecke. Diese sind in versteckten Darknet-Räumen ebenso zu finden wie bei Demonstrationen mit unverhohlen skandierten Parolen auf unseren Straßen. Und manche von ihnen sitzen inzwischen sogar in unseren Parlamenten.

Der Terror von Halle ist nicht nur ein antisemitischer Angriff, sondern ein Anschlag auf uns alle. Der Hass auf das vermeintlich „Andere“ kehrt sich ins Gegenteil um: Das „Andere“ ist nichts anderes, sondern ein Teil von uns.  Deshalb waren die spontanen Versammlungen vor Synagogen in vielen Teilen des Landes so wichtig, bei denen die Bundeskanzlerin sowie Vertreter vieler Institutionen und Parteien gemeinsam mit Bürgern Flagge zeigten. Ein Rückzug des Einzelnen gibt den Extremisten mehr Raum und beginnt auch nicht erst beim Nicht-Handeln, sondern bereits beim Verdrängen der Gefahr, dass es Menschen gibt, die angeblich unser Land „retten“ wollen, aber in Wirklichkeit ein anderes Deutschland begründen möchten. Das Gegenmittel gegen solchen Rückzug ist Mut. Die gelebte und vor allem offen gezeigte Courage sowie die Solidarität nach dem Terror von Halle stimmen mich trotz der dunklen Wolken hoffnungsvoll. Jeder von uns hätte zu den völlig willkürlichen Todesopfern von Halle zählen können – wir aber leben und können handeln!

Der Text ist zuerst in der in der Rubrik "Fremde Federn" in der "Frankfurter Allgemeine Zeitung" vom 12.10.2019 erschienen.