14.10.1989: Die SED taktiert, die Bürger handeln
Nur wenige Tage nach der großen Montagsdemo in Leipzig treffen sich in Berlin rund 100 Vertreter des Neuen Forums. Die Gruppe gilt noch immer als staatsfeindlich. Trotzdem bietet die SED plötzlich Gespräche an – und entlässt festgenommene Demonstranten vom Tag der 40-Jahresfeier. Im Hintergrund bereitet das Regime gleichzeitig eine Verhaftungswelle vor. Und im Fernsehen der DDR berichtet Erich Honecker über die weitere „Gestaltung der entwickelten sozialistischen Gesellschaft“. Derweil verlassen immer mehr Menschen das Land.
Das Neue Forum hat mittlerweile 25 000 registrierte Anhänger. Die Bewegung diskutiert in Berlin über die weitere Arbeit: Braucht es Parteistrukturen? Soll die Basisdemokratie beibehalten werden? Welche politischen Maßnahmen sind notwendig? Wie können die grundsätzlichen Probleme in Wirtschafts-, Gesellschafts- und Umweltpolitik gelöst werden?
Durch den Verlauf der Montagsdemo in Leipzig sind die DDR-Bürger selbstbewusster geworden. Immer mehr Einrichtungen erklären ihre Unterstützung der Bewegung, darunter die gesamte Belegschaft des DDR-Regierungskrankenhauses. In vielen Betrieben wird offen über Missstände diskutiert.
In Warschau warten etliche DDR-Bürger auf eine Genehmigung zur Ausreise in den Westen. Auf Drängen der polnischen Regierung will die DDR jetzt über ihre Botschaft für Ausreisewillige schnell die notwendigen Dokumente bereitstellen. Über Österreich und die Tschechoslowakei fahren immer mehr DDR-Bürger in die Bundesrepublik. Insgesamt sind es schließlich mehr als 200 000.
Im „Neuen Deutschland“ gibt es neben der üblichen SED-Lobhudelei auch einige kritische Leserbriefe. Das deutet vorsichtige Öffnung an. Erstmals gibt es ein Gesprächsangebot der SED-Diktatoren. Doch die politische Opposition, Kirchenvertreter und Bürgerrechtler sind skeptisch. Sie wollen ein ehrliches Angebot, kein Hinhalten. Gleichzeitig fordern sie die Freilassung der politischen Gefangenen in der DDR.
In der SED wird zur selben Zeit auch das Vorgehen „gegen“ die Oppositionellen diskutiert. Erich Honecker will ein hartes Vorgehen, Hans Modrow eine weiche Linie.