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Interview von CDU-Generalsekretär Peter Tauber mit ZEIT ONLINE
Die Pressestelle der CDU Deutschlands teilt mit:
CDU-Generalsekretär Dr. Peter Tauber gab ZEIT ONLINE (heutige Ausgabe) das folgende Interview. Die Fragen stellten Matthias Geis und Tina Hildebrandt.
ZEIT ONLINE: Herr Tauber, mit Ihrem Vorstoß für ein Einwanderungsgesetz sind Sie in Ihrer Partei ziemlich eingegangen. Kommt da noch was?
Peter Tauber: Klar. Ich bleibe dabei, dass ich gesetzlichen Regelungsbedarf sehe, auch wenn wir schon viel verbessert haben. Und diese Einschätzung teilen viele in meiner Partei – in der Bundestagsfraktion genauso wie in den Landesverbänden und Vereinigungen.
ZEIT ONLINE: Was soll denn konkret geregelt werden was jetzt noch nicht geregelt ist?
Tauber: Mir geht es vor allem um ein politisches Signal an potenzielle Einwanderer. Erstens: Wir wollen Euch hier haben – und zwar auf Dauer. Zweitens muss klar werden: Was erwarten wir, was wünschen wir uns von Zuwanderern, was sind die Werte, die in Deutschland gelten? Die klassischen Einwanderungsländer haben zum Teil Webseiten mit Checklisten, anhand derer man im Internet testen kann: Komme ich als Einwanderer im entsprechenden Land überhaupt infrage, passt das zueinander? Auch bei uns gibt es entsprechende Elemente, nur sind sie völlig unzureichend. Ob am Ende ein System aus Quoten und Punkten steht, oder etwas ganz anderes, das auf unserem bisherigen aufbaut, kann man jetzt noch nicht sagen. Wer mit Mittelständlern oder Start-up-Unternehmern im Gespräch ist, spürt den deutlichen Wunsch, qualifizierte Zuwanderer schneller holen zu können, auch weil die derzeitigen Gesetze schwer verständlich sind.
ZEIT ONLINE: Die Skeptiker aus Ihrer Partei sagen: Tauber will einfach mehr Einwanderung, warum sagt er das dann nicht?
Tauber: Ich hätte gerne die richtige Einwanderung. Sie können heute gar nicht prognostizieren, wie unsere wirtschaftliche und demografische Entwicklung in zehn Jahren sein wird, um zu sagen, ob wir dann mehr oder weniger Einwanderung aus Drittstaaten brauchen. Wichtig ist: Keiner will ein System, das einfach nur die Tore aufmacht. Natürlich muss die Zuwanderung an den Bedürfnissen unseres Landes orientiert geregelt werden.
ZEIT ONLINE: Ist es nicht so: Die Wirtschaft will mehr, ein Teil der Bevölkerung will weniger Zuwanderung?
Tauber: Es stimmt, dass die Wirtschaft mit einem steigenden Bedarf rechnet. Deshalb muss die Frage nach dem gesellschaftlichen Zusammenhalt eine viel größere Rolle spielen. Wir brauchen eine Debatte über ein deutsches Leitbild, über den gesellschaftlichen Konsens und geltende Werte – wie es jüngst auch die Autoren der Studie Deutschland postmigrantisch gefordert haben. Das ist für ein Land, das immer vielfältiger wird, essenziell.
ZEIT ONLINE: Was unterscheidet ein "Leitbild" von einer "Leitkultur"?
Tauber: Wenn Sie Leitkultur als offenen Austausch darüber verstehen, was an Werten und Normen Richtschnur für eine Gesellschaft ist, sehe ich keinen Unterschied. Wenn Sie Leitkultur ausgrenzend verstehen, sage ich lieber Leitbild. Wichtig ist, dass dieser Konsens von allen akzeptiert wird, gerade auch von denen, die neu dazukommen.
ZEIT ONLINE: Was soll das Leitbild denn sein? Das festzumachen hat schon in der Debatte vor 15 Jahren nicht geklappt.
Tauber: Die meisten Einwanderungsländer erwarten neben Sprachfähigkeiten auch die Integrationsbereitschaft der Zuwanderer. In Integrationskursen werden Rechtsnormen und Grundwerte vermittelt. Die Frage nach einem Leitbild ist ein offener Diskurs, den auch jede Generation für sich neu führen muss. Denn der Konsens verändert sich natürlich, wie man etwa beim Thema Gleichstellung sieht.
ZEIT ONLINE: Die Gefahr ist doch, dass sie entweder Selbstverständlichkeiten festhalten wie: Das Grundgesetz ist einzuhalten oder sie werden konkret und dann wird’s auch schnell strittig. Unterschiedliche Wertvorstellungen beginnen weit unterhalb des Grundgesetzes. Geht es also etwas konkreter?
Tauber: Natürlich muss man in einer solchen Debatte auch Konflikte riskieren. Viele junge Menschen, gerade mit muslimischem Glauben, können zum Beispiel nicht nachvollziehen, warum die Erinnerung an den Holocaust ein prägendes Element für die deutsche Gesellschaft ist. Sie verstehen es nicht, einige wollen es auch nicht akzeptieren. Und das müssen wir erklären, damit jedem klar ist: Wer Deutscher sein will, muss auch zur deutschen Vergangenheit stehen und die daraus erwachsene Verantwortung unserer Nation mittragen. Solche Differenzen haben wir in der Vergangenheit zu oft ausgeblendet, das ist sicher ein Fehler gewesen.
ZEIT ONLINE: Nehmen wir die berühmten Mädchen, die aus religiösen Gründen nicht am Schwimmunterricht teilnehmen oder das Mädchen mit Kopftuch, das vor dem Lehrer sitzt und sich die Ohren zuhält, wenn es um Mozart geht, weil der angeblich so frivol war. Soll man dann sagen: Das ist ein marginales Problem, es betrifft nur 1 Prozent der Muslime. Oder soll man sagen, das entspricht nicht unserem Leitbild?
Tauber: Die Religionsfreiheit ist sehr wichtig. Sie darf am Ende aber nicht zu Lasten von anderen Grundrechten gehen. Die staatliche Ordnung kann nicht durch religiöse Verfasstheit infrage gestellt werden. Alle in Deutschland müssen denselben Zugang zur Bildung haben – auch wenn es darum geht, schwimmen zu lernen oder sich mit klassischer Musik auseinanderzusetzen. Gleichzeitig gebietet die Religionsfreiheit, dass man individuell Schutzräume für bestimmte religiöse Werte schafft.
ZEIT ONLINE: Sie sind also für die rheinische Lösung: Man sagt, im Prinzip geht es nicht, aber wenn es sich in einem tolerablen Umfang abspielt, dann erörtern wir das nicht weiter?
Tauber: Doch, natürlich müssen wir das erörtern. Gleichberechtigung von Mann und Frau ist etwa eines der essentiellen Themen, bei denen manche Zuwanderer erkennbare Probleme haben. Aber das ist für uns nicht verhandelbar. Nehmen Sie das Beispiel der sogenannten Ehrenmorde. Da gibt es Eltern, die nicht akzeptieren wollen, dass sich ihre Kinder von traditionellen kulturellen Mustern lösen. Diese Kinder möchten die Freiheiten und Rechte, die unser Land bietet, für sich nutzen. Solche Konflikte berühren die ganze Gesellschaft. Und es muss klar sein: Wir stehen an der Seite dieser Kinder.
ZEIT ONLINE: Ihre Partei hat allergisch reagiert, als Angela Merkel nach den Anschlägen von Paris den Satz "Der Islam gehört zu Deutschland" wiederholt hat. Verstehen Sie die Bauchschmerzen, die viele in Ihrer Partei haben?
Tauber: Angela Merkel hat doch sehr klargemacht, welcher Islam zu Deutschland gehört. Religionsfreiheit ist nicht schrankenlos, sondern es gilt die staatliche Ordnung. Und dort, wo Muslime nicht bereit sind, das zu akzeptieren, gibt es natürlich ein massives Problem.
ZEIT ONLINE: Und das haben Ihre Parteifreunde noch nicht so gut verstanden?
Tauber: Jeder muss für sich selber ausmachen, wie er zu diesem Satz steht. Fakt ist, es gibt viele Muslime in Deutschland, auch in der CDU, die unsere Werte teilen, die sich engagieren für dieses Land, die hier leben, die deutsche Bürger sind und von denen ich mir wünschte, dass sie sich noch stärker einbringen, sowohl politisch als auch im Ehrenamt. Und wenn man das will, muss man ihnen auch signalisieren: Ihr gehört dazu. Sonst funktioniert das nicht. Wer nicht dazugehört, wird nicht bereit sein, auch Verantwortung zu übernehmen.
ZEIT ONLINE: Aber der Streit über diesen Satz zeigt doch gerade, wie schwierig es auch von deutscher Seite aus ist, zu einem einvernehmlichen Leitbild zu kommen.
Tauber: Gerade deshalb muss die Debatte ja geführt werden. Nehmen Sie als Beispiel Kanada. Die Kanadier sind sehr stolz darauf, dass sie Einwanderung aus unterschiedlichen Ländern und Kulturkreisen haben. Trotzdem würden sie nie einen Zweifel daran aufkommen lassen, dass die erste Identität immer die kanadische ist. Wir hingegen scheuen uns immer noch zu sagen: Wir erwarten von denen, die dauerhaft hier leben, die Deutsche werden, dass sie die verfassungsgemäße Ordnung nicht nur akzeptieren, sondern sie sogar gut finden. Deswegen kann trotzdem jeder seine eigene Identität und Herkunft pflegen.
ZEIT ONLINE: In Ihrem Heimatland Hessen gab es 1999 eine CDU-Unterschriftenkampagne gegen den Doppelpass. Ein Einwanderungsfan wie Sie hat damals bestimmt gegen Roland Koch mobilisiert, oder?
Tauber: Nein, ich habe die Kampagne damals mitgetragen. Ich habe selber Unterschriften gesammelt. Und ich habe mich gefreut, wenn örtliche SPD-Mitglieder vorbeikamen und gesagt haben: "Ich darf's nicht laut sagen, aber hier sind noch 200 Unterschriften." Das war nämlich damals in Hessen nicht so, dass nur Christdemokraten unterschrieben haben.
ZEIT ONLINE: Mittlerweile sieht auch die CDU den Doppelpass entspannter. Kannten Sie damals zu wenige Migranten oder lagen Sie einfach falsch?
Tauber: Da halte ich es mit Konrad Adenauer: Niemand kann mich daran hindern, klüger zu werden. Ich habe damals gedacht, dass es nicht schlecht ist, wenn sich junge Menschen mit der Frage auseinandersetzen: Bin ich jetzt eigentlich Spanier, Pole, Marokkaner oder Iraner – oder Deutscher? Und wo sehe ich meine Zukunft? Aber die meisten jungen Menschen haben das pragmatisch entschieden: Wenn die Eltern dagegen waren, hat man nicht für die deutsche Staatsbürgerschaft optiert. Der Zwang, sich für eine Staatsbürgerschaft zu entscheiden, hat also keine bewusste Auseinandersetzung ausgelöst. Und jetzt ist die spannende Frage, ob es andere Mittel und Wege gibt, das zu erreichen. Die Chancen sind nicht so schlecht. Denn aktuelle Studien zeigen: Ein Großteil der Zuwanderer ist genauso stolz auf dieses Land wie die gebürtigen Deutschen oder Biodeutschen oder wie auch immer man sagt.
ZEIT ONLINE: Was ist eigentlich ein Biodeutscher?
Tauber: Tja, mir gefällt das Wort eigentlich auch nicht, aber man merkt daran eine gewisse Sprachlosigkeit bei der ganzen Thematik. Das gilt ja auch für Begriffe wie Migrant. Ich habe hier in Berlin viel mit dem Verein "Typisch Deutsch" zu tun, der von jungen Leuten mit Zuwanderungsgeschichte gegründet wurde. Die sprechen von Neudeutschen. Da habe ich dann gefragt, was bin ich? Dann hieß es, na ja, vielleicht bist du ein Altdeutscher. Das finde ich auch nicht so schön. Also am Ende ist man ein Deutscher, wenn man den deutschen Pass hat. Mit allen Rechten und Pflichten. Punkt.