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„Wir wollen der Pflege eine neue Seele geben“
Seit dem 1. Januar 2015 erhalten Pflegebedürftige und ihre Angehörigen deutlich verbesserte Leistungen. Was bei der Umsetzung des Pflegestärkungsgesetzes I im Mittelpunkt stand, stellt der Patientenbeauftragte der Bundesregierung und Bevollmächtigte für Pflege, Staatssekretär Karl-Josef Laumann, im Gespräch mit CDU.TV vor. Das Interview führte Antje Bongers.
Union Magazin: Herr Laumann, in Deutschland sind derzeit rund zweieinhalb Millionen Menschen pflegebedürftig, in etwa 15 Jahren werden es mehr als drei Millionen sein. Was tut die Bundesregierung, um diese Menschen zu unterstützen?
Karl-Josef Laumann: Die Pflegeversicherung ist in diesem Jahr 20 Jahre alt geworden und sie bekommt durch die Pflegestärkungsgesetze in dieser Legislaturperiode eine Art Generalüberholung. Wir verbessern die Leistungen und die fachliche Grundlage der Pflegeversicherung, aber wir wollen vor allem eine Antwort auf die Frage geben, was uns die Pflege in Deutschland wert ist. Im Grunde wollen wir der Pflege eine neue Seele geben. Denn die jetzige Pflegeversicherung hat ein sehr defizitorientiertes Bild von der Pflege. Sie beruht auf einer Definition, wie wir sie vor 20 Jahren getroffen haben. Und die greift zu kurz, wenn es um den zu pflegenden Menschen und seine individuellen Herausforderungen geht.
Union Magazin: Wenn Leistungen verbessert werden, kostet das Geld. Müssen dazu die Beiträge zur Pflegeversicherung erhöht werden?
Laumann: Im Koalitionsvertrag haben wir festgelegt, dass wir in dieser Wahlperiode den BeiI tragssatz zur Pflegeversicherung um ein halbes Prozent erhöhen wollen. Gemessen an den Ausgaben der Pflegeversicherung ist es eine Erhöhung um 20 Prozent! Selbst ein langjähriger Sozialpolitiker wie ich hat noch nicht erlebt, dass wir die Leistungen einer Sozialversicherung um 20 Prozent erhöht hätten. Was ich so spannend daran finde ist, dass über diese Beitragssatzerhöhung niemand schimpft. Sie ist akzeptiert. Auch seitens der Wirtschaft und der Arbeitgeber. Es gibt die Einsicht, dass bei der Pflege in Deutschland ein gewisser Nachholbedarf besteht und dass etwas passieren muss.
Union Magazin: In welche konkreten Maßnahmen fließt das Geld?
Laumann: Zunächst einmal geht es um das Hier und Jetzt: Wir haben die Leistungen in der Pflegeversicherung zum 1. Januar 2015 deutlich erhöht. Das betrifft die Tagespflege, aber auch Kurzzeit- und Verhinderungspflege, die flexibler eingesetzt werden können. Auch sollen die Betreuungskräfte in den Heimen aufgestockt werden. Seit Januar können dafür rund 20 000 zusätzliche Mitarbeiter eingestellt werden. Das sind mehr Köpfe und Hände für pflegebedürftige Menschen. Und wir wollen in Bezug auf den neuen Pflegebedürftigkeitsbegriff, dass Demenz anders und stärker in der Pflegeversicherung bewertet wird. Und dann wollen wir jedes Jahr gut eine Milliarde Euro in eine Rücklage stecken. Das Geld soll weggelegt werden für die geburtenstarken Jahrgänge, die ab dem Jahr 2025 pflegebedürftig werden. Wer dann in Deutschland für die Pflege zuständig sein wird, sollte auf einen kollektiven Sparstrumpf zurückgreifen können, um die anstehenden Herausforderungen besser bewältigen zu können.
Union Magazin: Zwei Drittel aller Pflegebedürftigen werden von ihren Angehörigen gepflegt. Reichen Ihre Neuerungen aus, um hier helfen zu können?
Laumann: Ich glaube, dass wir die Leistungen für die Pflege zu Hause passgenau für die unterschiedlichen Anforderungen der Familien ausgebaut haben. Denn ich finde es ganz wichtig, dass nicht wir Politiker im Einzelnen entscheiden, wie der Pflegebedürftige versorgt wird. Wenn ein Pflegefall eingetreten ist, sollen Familien die Leistungen der Pflegeversicherung so kombinieren können, wie sie es in ihrer ganz individuellen Lage brauchen.
Union Magazin: Die meisten Menschen wollen im Alter ja gern zu Hause bleiben und dort gepflegt werden. Wie unterstützen Sie diese Menschen?
Laumann: Das größte Angebot, das wir haben, sind unsere ambulanten Pflegedienste, die ein vielfältiges Angebot an Unterstützungsleistungen für Menschen vorhalten, die in der häuslichen Umgebung gepflegt werden wollen. Diese gilt es noch besser zu unterstützen. Viele der pflegebedürftigen Menschen wünschen sich, solange wie eben möglich in den eigenen vier Wänden zu bleiben. Das respektieren wir und danach richten wir auch die Leistungen der Pflegeversicherung aus.
Union Magazin: Wenn viele Menschen im Alter zu Hause bleiben möchten, sind oft Umbauten notwendig. Inwiefern werden auch diese unterstützt?
Laumann: Seit dem 1. Januar stehen konkret 4 000 Euro demjenigen zur Verfügung, der eine Wohnung den Bedürfnissen eines Pflegebedürftigen anpassen muss. Vorher wurde ein Betrag von rund 2 500 Euro gezahlt, hier sind die Leistungen also deutlich erhöht worden.
Union Magazin: Ein anderes großes Problem in Deutschland ist die steigende Zahl der an Demenz Erkrankten. Was wird für sie getan?
Laumann: Bei Demenz ist es ungemein wichtig, dass die Menschen eine fachgerechte Betreuung erhalten, dass mit ihnen etwas unternommen wird, dass vorgelesen wird, dass gesungen wird, dass auch mal zusammen gebacken wird. Es ist also ganz wichtig, dass Demenzkranke eine wirklich menschliche Betreuung erfahren. Wir müssen darüber hinaus auch in der Bevölkerung eine andere Sensibilisierung für die Demenz erreichen. Denn: Demenz wird künftig immer mehr zum Erscheinungsbild im Alltag gehören!
Union Magazin: Hilft das Gesetz auch den Mitarbeitern in der Pflege?
Laumann: Wir haben sehr deutlich gemacht, dass wir in der Pflege tarifliche Bezahlung wünschen. Denn Pflegekräfte leisten viel und haben, wie ich finde, einen Anspruch auf faire Bezahlung. Ich bin davon überzeugt, dass wir auch die Ausbildung in den Pflegeberufen in Deutschland neu organisieren müssen. Wir haben heute Krankenpflege, wir haben Altenpflege, wir haben Kinderkrankenpflege. Der Koalitionsvertrag gibt uns den Auftrag, dass wir eine Modernisierung im Sinne einer gemeinsamen Pflegeausbildung in diesen Jahren nicht nur diskutieren, sondern auch beschließen. Wir sollten uns über jeden Menschen in Deutschland freuen, der einen Pflegeberuf erlernen will. Denn in den kommenden Jahrzehnten werden wir jedes Jahr rund zwei, zweieinhalb Prozent mehr Pflegebedürftige haben. Das heißt, wir müssen jedes Jahr mehr Menschen finden, die sich um einen Pflegebedürftigen kümmern wollen, und das ist in der Tat eine sehr große Herausforderung, der wir uns als Bundesregierung stellen müssen.
Union Magazin: Trotzdem fehlen derzeit noch Pflegekräfte. Was tun Sie, um mehr Menschen für diesen Beruf zu gewinnen?
Laumann: Wie gesagt: Wir modernisieren die Ausbildung. Pflegekräfte sind hochqualifizierte Menschen, denen wir vieles abverlangen, und deswegen spreche ich auch einen Punkt an, der bei den Pflegeeinrichtungen ein Riesenthema ist: die Entbürokratisierung. Wenn ich in eine Einrichtung komme, ist das Erste, worauf mich Pflegekräfte in der Regel ansprechen: „Können Sie denn gar nichts gegen diese Bürokratie tun?“ Was sich dort in den letzten Jahren in unseren Einrichtungen hochgeschaukelt hat, empfinden die Pflegekräfte als sehr belastend. Deshalb wollen wir eine neue Pflegedokumentation in die Einrichtungen hineintragen – dazu habe ich eigens ein Projektbüro beauftragt. Ich selber werde in den nächsten Wochen in Deutschland 15 regionale Termine in Stadthallen vornehmen, um für eine neue Dokumentation zu werben, die eigentlich ganz einfach ist. Das macht mir im Übrigen große Freude, denn Entbürokratisierung kostet kein Geld. Und zweitens sorgt sie dafür, dass sich Pflegekräfte wieder ernst genommen fühlen und dass mehr Zeit für die eigentliche Pflege bleibt. Wir reden von einem mächtigen Entbürokratisierungsschub in Deutschland, der in diesem Jahr stattfinden wird.
Union Magazin: Was ändert sich denn mit der geplanten zweiten Stufe der Pflegereform?
Laumann: Mit der zweiten Stufe der Pflegereform wird der Pflegebedürftigkeitsbegriff eingeführt. Das ist ein schrecklich technisches Wort, mit dem im Grunde die Frage nach der Definition von Pflege in der gesetzlichen Pflegeversicherung beantwortet werden soll. Was sind eigentlich die Kriterien der Pflegeversicherung für Menschen, die plötzlich merken, dass sie es alleine nicht mehr schaffen? Bisher haben wir eine eher defizitorientierte Regelung, das heißt: Wir schauen sehr streng, was jemand noch selbst erledigt bekommt und was nicht, zum Beispiel Händewaschen oder Nahrungszubereitung. Aber wenn man beim Essen oder bei der Körperpflege eher Motivation als praktische Hilfe braucht? Kann sich jemand zwar selbst waschen, hat aber vergessen, wie es geht? Das werden wir in Zukunft auch berücksichtigen. Wir haben heute im Wesentlichen drei Pflegestufen, demnächst werden es fünf Pflegegrade sein. Vor allem, um deutlicher differenzieren zu können und die Anforderungen mit dem Leistungsangebot abzugleichen.
Union Magazin: Herr Laumann, wir danken für das Gespräch.