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„Es muss uns gelingen, Volkspartei zu bleiben!“
Bundesgesundheitsminister Jens Spahn und NRW-Landesgesundheitsminister Karl-Josef Laumann verbindet nicht nur das Münsterland als gemeinsame Heimat, sie sind auch beide überzeugte Christ-Demokraten. Im Gespräch mit der "Sozialen Ordnung!" (SO!) - dem Mitgliedermagazin der Christlich-Demokratische Arbeitnehmerschaft (CDA) - unterhalten sich die beiden CDU Präsidiumsmitglieder über Gesundheitspolitik, gesellschaftliche Werte und die Volkspartei CDU.
SO!: Herr Spahn, nach vielen Jahren, wo sie andere Themen gerade in der Gesellschaftspolitik und Finanzpolitik beackert haben, wie schwer ist es Ihnen gefallen, wieder zur Gesundheitspolitik zurückzukehren?
Jens Spahn: Gar nicht. Gesundheit betrifft den Alltag aller Menschen unmittelbar. Insofern kann Politik hier einen spürbaren Unterschied machen. Außerdem kann ich jetzt vieles von dem, was wir in der Sozialpolitik lange diskutiert haben, als Minister endlich zu einer Entscheidung führen und umsetzen.
Herr Laumann, sind Sie als Landesminister und CDA-Vorsitzender zufrieden mit Bundesgesundheitsminister Spahn?
Karl-Josef Laumann: Erstmal ist es gut für das Gesundheitssystem, wenn hier zwei Münsterländer was zu sagen haben (lacht). Aber im Ernst: Wir haben in den letzten zwei Jahren eine riesen Dynamik in der Gesundheitspolitik. Vieles, was jahrelang liegen geblieben ist, verändert sich. Das hat sehr viel mit Jens Spahn zu tun. Er hat den Mut, Dinge zu entscheiden und voranzubringen, auch wenn das nicht immer im Konsens mit allen Interessengruppen funktioniert.
Sie beiden setzen sich zum Beispiel für eine Neuordnung der Krankenhauslandschaft ein, auch wenn es hier viel Widerstand im Land gibt. Was treibt Sie an?
JS: Ich möchte, dass Patienten gut versorgt werden. Im Notfall so nah wie möglich. Und wenn es um planbare Eingriffe geht, in Krankenhäusern, die das auch können. Das zu planen, ist zuallererst Aufgabe der Länder. Deshalb bin ich Karl-Josef Laumann sehr dankbar, dass er im größten Bundesland Nordrhein-Westfalen versucht, die Balance zu schaffen zwischen Vorsorge und Notfallbetreuung in der Fläche und hoher Qualität der Behandlung in Spezial-Kliniken. Denn ein Krankenhaus, das nur zehn Prostata-Operationen im Jahr macht, ist letztlich keine gute Adresse für diesen Eingriff. Es ist aus Patienteninteresse besser, Spezialeingriffe mit hoher Qualität an weniger Orten zu konzentrieren.
KJL: Wir sind uns hier völlig einig. Ausstattungen und Fallzahlen beeinflussen die Qualität der Eingriffe nachweislich. Hier müssen wir weiterkommen. Wir dürfen nicht mehr nur Bettenzahlen im Kopf haben, wenn wir über Ausstattung in der Fläche nachdenken. Widerstände muss man ertragen.
Lassen Sie uns über die politische Lage in Deutschland sprechen. Sie sind beide viel unterwegs gewesen im Wahlkampf sowohl in den neuen Bundesländern als auch zur Europawahl. Wie nehmen Sie die aktuelle Stimmung bei den Menschen war?
JS: Viele Menschen haben das Gefühl, dass die besten Jahre hinter uns liegen. Den meisten geht es gut, aber sie erwarten nicht, dass es so bleibt. Und viele trauen dem Staat nicht zu, dafür zu sorgen. Verstärkt wurde diese Stimmung durch die Migrationsbewegung 2015/16, aber das Gefühl geht viel tiefer. Jede gescheiterte Abschiebung, jedes Funkloch, jede gesperrte Brücke schwächt das Vertrauen, dass der Staat seinen Aufgaben nachkommen kann.
KJL: Ich nehme wirklich große Unterschiede zwischen neuen und alten Ländern wahr. Und das liegt nicht so sehr an der Infrastruktur. Als ich in Sachsen durch die Dörfer gefahren bin, dann sahen da die Sportplätze nicht anders aus als bei uns im Münsterland. Aber ich habe eine Stimmung wahrgenommen, dass gerade viele Ältere traurig sind, dass ihre Kinder und Enkel weggezogen sind. Da bleibt ein Gefühl des Zurückgelassen-Seins. Das sitzt viel tiefer als die Arbeitslosenstatistik oder der Zustand der Straßen. Gegen dieses Gefühl kommt man nicht mit Fakten an.
Was muss die CDU tun, um diese Gefühle zu adressieren?
JS: Bessere Debatten führen, und zwar nicht über Befindlichkeiten und Personal, wie wir es in der Koalition in den letzten Wochen wieder vorgemacht haben, sondern über Sachfragen. Ob es Organspende ist, Krankenhausplanung, ob Rente oder Digitalisierung. Und dann müssen wir Entscheidungen treffen, die einen Unterschied machen. Die Pflegekräfte interessiert nicht zuerst, wer Gesundheitsminister ist, oder Kanzler, oder Parteivorsitzender, sondern ob unsere Politik in ihrem Alltag einen Unterschied macht.
KJL: Ich glaube, wir müssen einfach sehen, dass wir als CDU so breit aufgestellt bleiben, dass wir mit allen Schichten in der Bevölkerung im Gespräch bleiben. Wir dürfen den Anschluss zu den gesellschaftlichen Strömungen nicht verlieren. Und dazu müssen wir mit Menschen ins Gespräch kommen, die in der Partei nicht ausreichend vertreten sind. Beispielsweise mit den Schülern von Fridays for Future, ich glaube, dass würde beiden Seiten guttun.
JS: Ich wünsche mir, dass wir wieder mehr Debatten anstoßen und nicht nur reagieren. Inhaltliche Debatten können Parteitage spannend machen. Vor allem, wenn man weiß, dass diese Debatten zu Entscheidungen führen, die dann auch umgesetzt werden. Parteitagsbeschlüsse sollten auch Folgen haben.
In der Vergangenheit wurden strittige Fragen sehr gern an Kommissionen verwiesen. Sollten wir beim Parteitag wieder mehr Kontroverse zulassen?
JS: Ich bin unbedingt dafür, dass wir uns solche Debatten zutrauen und uns mehr Zeit dafür nehmen. Parteitage sollten sich nicht in Wahlformalitäten und Grußworten erschöpfen. Und dann gehört auch dazu, dass man am Ende aushalten muss, wenn Abstimmungen strittig ausgehen.
KJL: Dafür brauchen wir vor allem auch Themen, an denen viele Mitglieder Interesse haben. Denn eine Debatte wird ja dann gut, wenn sie eben nicht nur auf dem Bundesparteitag, sondern auch in den Kreis- und Ortsverbänden ankommt. Denn dann treffen wir auch Entscheidungen, bei denen wirklich alle dahinterstehen.
Hier werben zwei Politiker, die auch mal einen inhaltlichen Konflikt austragen, für mehr Debatten. Was für eine Streitkultur wünschen Sie sich für die CDU?
KJL: Ich wünsche mir eine Kultur in der Partei, die wieder zwischen inhaltlichem Streit und der Person unterscheidet. Wir brauchen die Toleranz hinter gewählten Vertretern zu stehen, auch wenn uns nicht alle Positionen passen. Denn wir werden nur dann gute inhaltliche Debatten führen können, wenn wir andere Meinungen akzeptieren.
JS: Das sehe ich genauso. Wir müssen bereit sein, im Ringen um gute Positionen auch mal nachzugeben. Und ich werbe dafür, sich im Streit direkt mit den Parteifreunden zu besprechen und nicht gleich Twitter zu bemühen.
Aber erodiert nicht die Grundlage für eine große Volkspartei in einer Gesellschaft, die in immer kleinere Interesseneinheiten zu zerfallen scheint?
KJL: Das ist eine Herausforderung. Denn klassische Milieus, die die Menschen schichtübergreifend zusammengeführt haben, wie etwa das katholische Milieu schrumpfen.
JS: Was mich besorgt, ist der Trend, dass unsere Gesellschaft immer mehr in kleinste Interessengruppen zerfällt, die unversöhnlich für ihre Ziele kämpfen. Das ist ein sehr linker Ansatz, immer stärker in Persönlichkeits- und Geschlechtsrollen zu unterscheiden und dann für Kleingruppen oft aus einer Opferrolle heraus Interessen zu formulieren. Wenn dann alle ihre Forderungen zu 100 Prozent umsetzen wollen, zerfällt der gemeinsame Kern einer Gesellschaft, das Wir-Gefühl. Eine Entwicklung, die schon die US-amerikanische Demokratie schwer erschüttert hat.
Was hat die CDU dem entgegenzusetzen?
KJL: Volkspartei bedeutet für mich, dass Menschen mit ganz unterschiedlichen Erfahrungswelten gemeinsam Politik machen. Das macht den Horizont weiter und führt zu ausgewogenen Entscheidungen, weil Arbeitnehmer und Arbeitgeber, Stadt und Land, Ältere und Jüngere berücksichtigt werden müssen.
JS: Es ist Aufgabe einer Volkspartei, aus Einzelinteressen ein Politikangebot für alle zu formulieren. Wir müssen diejenigen sein, die unserer Gesellschaft in einer sich wandelnden Welt wieder ein Gemeinschaftsgefühl geben. Und damit eine Heimat bieten. Ich bin überzeugt: Wir brauchen einen weltoffenen Patriotismus, der das Wir-Gefühl stärkt, aber offen für Neues ist. Das kann nur die CDU anbieten.
Sie haben also beide noch Hoffnung, dass die CDU als Volkspartei eine Zukunft hat?
KJL: Es muss uns gelingen, Volkspartei zu bleiben, sonst steht es schlecht, um die politische Kultur und die politische Stabilität in unserem Land. Wir brauchen dafür eine glaubwürdige Verbindung von Programm und Personen, die für die CDU stehen. Damit werden wir ganz sicher wieder besser dastehen als derzeit in den Umfragen.
JS: Wir beide sind doch ein gutes Beispiel, dass Volkspartei funktioniert. Unsere Lebenserfahrung und unsere Lebenswege sind nicht unbedingt deckungsgleich. Trotzdem oder gerade deswegen sind wir zu guten Kompromissen und einer guten Zusammenarbeit fähig…
KJL: … und übrigens viel öfter einer Meinung als gemeinhin gedacht wird.