AKK im Interview mit der italienischen Zeitung "II Foglio"
Annegret Kramp-Karrenbauer hat als Parteivorsitzende der CDU der italienischen Zeitung „Il Foglio“ ein Interview gegeben, welches am Samstag dort erscheint.
II Foglio: Die europäische Strategie zum Umgang mit der Corona-Krise basiert auf vier Säulen. Ist das Ihrer Meinung nach eine angemessene Antwort? Es heißt, es sollen insgesamt circa 3000 Milliarden mobilisiert werden – ist diese Schätzung korrekt? Und ist das ausreichend?
Annegret Kramp-Karrenbauer: Diese vier Säulen der Unterstützung sind ein starkes Zeichen der Solidarität. Wir nutzen damit die Möglichkeiten, die wir in Europa haben. Es ist gut, dass dieses kraftvolle Hilfspaket von allen Mitgliedstaaten politisch mitgetragen wird. Die vier Säulen sind eine gute Basis, um mit den Folgen der schwierigen Corona-Krise fertig zu werden.
Unter den „vier Säulen” findet sich der Wiederaufbau-Fonds. Dieser Fonds entstand auf Vorschlag Frankreichs und soll – wie im heute verabschiedeten Beschluss des europäischen Parlaments zu lesen – auch Recovery Bonds ausstellen. Wie soll dieser Fonds aus deutscher Sicht aussehen? Welche Reichweite soll er haben? Soll er auch „europäische“ Schuldtitel ausstellen können.
Die deutsche Regierung ist skeptisch, wenn es um die Einführung von Eurobonds geht. Wir sind überzeugt von den Instrumenten, die für Solidarität stehen und die Eigenverantwortung nicht außen vor lassen. Ich bin sicher, dass sich die Finanzierung eines Wiederaufbau-Fonds anders besser und schneller organisieren lässt als durch sogenannte Eurobonds.
Deutschland wird von allen – sowohl von seinen Bewunderer als auch paradoxerweise von seinen Kritikern – als führendes Land in Europa angesehen. Ist Deutschland also bereit, die politische Führungsrolle in Europa zu übernehmen und eine teilweise Vergemeinschaftung der künftigen gemeinsamen Schulden und der Steuerpolitik zu akzeptieren, so wie Kohl, als er die Vergemeinschaftung der Geldpolitik akzeptierte und auf die Bundesbank verzichtete?
Wir sind uns unserer europäischen Verantwortung und Geschichte bewusst und deshalb ist es für uns selbstverständlich, unseren Freunden schnell, solidarisch und unbürokratisch zu helfen. Dies sehen Sie an den beschlossenen vier Säulen der Unterstützung. Wir sind auch bereit, solidarisch zum Wiederaufbau-Fonds beizutragen und die Wirtschaft, die Arbeitsplätze und damit die Menschen europaweit zu stärken. Unsere Leitlinie dabei ist, dass Haftung und Risiko auch immer in einer Hand liegen müssen. Deswegen lehnen wir eine Vergemeinschaftung von Schulden ab.
Holland spricht sich unnachgiebig gegen jede Art der Schuldenteilung und gegen eine Lockerung der Voraussetzungen für den Zugang zum ESM aus. Wie beurteilen Sie die niederländische Position?
Wir müssen jetzt unterscheiden zwischen dem ESM wie wir ihn bisher kennen und dem ESM, der nun im Kampf gegen die Folgen der Corona Epidemie eingesetzt wird. Um der Krise zu begegnen, muss nun schnell und unkompliziert gehandelt werden. Niemand will jetzt langwierig Gesetze ändern. Deshalb ist der ESM effektiv. Und: Damit sofort geholfen werden kann, gelten nun besondere Konditionen beim ESM. Dieser Weg ist richtig und wurde von Deutschland von Anfang an unterstützt. Klar ist, diese Krise stellt alles in den Schatten, was wir bisher kennen. Deshalb können wir auch nicht mit den herkömmlichen Regeln des ESM reagieren.
In Italien gibt es eine große Debatte um den ESM. Einige Beobachter glauben, dass es „versteckte Bedingungen“ gibt, die die betroffenen Länder zu strukturellen Reformen und Sparkursen zwingen, sobald die Krise vorüber ist. Teilen Sie diese Auffassung? Sollten Ihrer Meinung nach die Länder, die Kredite aus dem ESM erhalten, anschließend einer finanziellen Kontrolle durch die Kommission unterliegen?
Der normale ESM mit all seinen Bedingungen ist ein bewährtes Instrument, um in schwierigen Zeiten finanziell zu unterstützen. Mir ist klar, dass der ESM Ländern viel abverlangt. Ich kann auch die Sorge in Italien verstehen, wenn über das Thema diskutiert wird. Aber ich verstehe die Einigung in Brüssel so, dass diese Sorge unberechtigt ist. Es gelten beim "Corona-ESM" andere Grundlagen als beim normalen ESM. Das sind spezielle Hilfen durch den ESM für die besonderen Umstände, verursacht durch Corona. Europa tut alles, um auch Italien zu helfen. Jedes Land wird durch die Corona-Situation heute überlegen, was können wir aus der Krise lernen? Das betrifft alle Bereiche von Wirtschaft über Gesundheitswesen bis hin zu unserem Zusammenleben. An Ideen für eine bessere, sichere Zukunft – nach Corona - arbeiten wir auch in Deutschland schon. Das wird in Italien nicht anders sein.
Welche Laufzeit sollten die durch den ESM, die EIB und den Sure-Fonds gewährten Kredite nach deutscher Meinung haben? In Italien wünschen sich einige ein Zeitfenster von 30 Jahren für die Rückzahlung der Kredite. Ist das vertretbar?
Ich bin der Meinung, dass es einen grundsätzlichen und nachvollziehbaren Zusammenhang zwischen der Aufnahme des Kredites und der Rückzahlung geben muss. Das hängt natürlich auch davon ab, wie und wann jedes einzelne Land wieder aus der Corona-Krise wieder herauskommt und zu finanzieller Stärke zurückkommt. Wichtig ist, dass jetzt geholfen wird.
Deutschland scheint bisher das Land zu sein, das am besten auf die Gesundheitskrise reagiert hat. Dürfen wir erfahren, wann Sie angefangen haben, sich mit Masken, Testkits und Schutzausrüstung einzudecken? In Italien herrscht ein großer Mangel an dieser medizinischen Ausstattung. Hat Deutschland besser und früher reagiert?
Auch Deutschland hat die Corona-Krise getroffen als wir nicht richtig darauf vorbereitet waren. Wir hatten - wie die meisten Länder – leider nicht genügend Schutzausstattung, Desinfektionsmittel oder Masken. Unser Vorteil war wohl, dass wir schon sehr früh anfangen konnten, die Patienten auf Infektionen zu testen. Das hat sicher geholfen. Viele medizinische Produkte, die wir bestellt haben, sind bis heute noch nicht in den Krankenhäusern eingetroffen. Da geht es uns wie fast allen Ländern auf der Welt.
In Italien hat während des Lockdowns eine Grafik großes Aufsehen erregt, die darstellt, dass der Rückgang des Stromverbrauchs in unserem Land viel stärker ausfiel als in Ihrem (-5% in Deutschland, -25% in Italien). Einige unserer großen Unternehmen sagen, dass ihre Werke in Deutschland weiterliefen. Wir haben Sie es geschafft, die Produktion in Ihrem Land im Wesentlichen am Laufen zu halten?
In Deutschland haben wir Unternehmen und Branchen geschlossen, wo sich Menschen in großer Zahl begegnen und so besonders leicht das Virus hätten verbreiten können: Gastronomie, Dienstleistung und Tourismus. Doch andere Unternehmen konnten – mit Regeln und Schutzmaßnahmen für die Mitarbeiter – weiterarbeiten. Wo es möglich ist, darf weiter produziert werden. Viele dieser Unternehmen habe mittlerweile aber das Problem, dass die Lieferketten nicht mehr funktionieren.
In Deutschland beginnt bereits die Phase der Lockerungen. Ab nächsten Montag werden kleine und mittlere Geschäfte wieder geöffnet, am dem 4. Mai die Schulen. Sind Sie sicher, dass dies im Sinne der Gesundheit von Arbeitnehmern und Schülern ist? Wie haben Sie es geschafft, in so kurzer Zeit einen Zeitplan für die Wiedereröffnung auszuarbeiten? Werden Sie die Contact Tracing-App nutzen?
Wir gehen in Deutschland kleine und vorsichtige Schritte und werden diese Lockerungen immer wieder kontrollieren. Wir sind offen für eine App! Wenn klar ist, dass die Beteiligung daran freiwillig ist und die Daten nur dafür genutzt werden.
Es gab Solidarität in Europa, viele Umfragen in Italien zeigen aber einen weiteren Rückgang der Popularität der EU und eine Abneigung gegen Deutschland. Ein Senator der Mehrheit, ein Vertreter der Fünf-Sterne-Bewegung, hat die Deutschen als „Enkel Hitlers“ verschmäht. Gibt es ein Mittel gegen diese negative Stimmung?
Viele Menschen in Deutschland und Italien verbindet eine tiefe Freundschaft. Das wissen auch alle Italiener. Konrad Adenauer und Alcide De Gasperi waren Gründungsväter von Europa. Deshalb erspare ich mir, solche abwegigen Aussagen zu kommentieren. Für uns ist wichtig, dass wir diese schwierige Situation gemeinsam in Europa bewältigen. Vor ein paar Tagen hatten wir ein Treffen der Nato-Verteidigungsministern. Auch innerhalb der Nato ist allen klar: Wir helfen einander und sind für einander da. So hat die Bundeswehr mit dem Covid-19-Virus infizierte Patienten aus Italien nach Deutschland geflogen und dort behandelt. Wo wir im Rahmen unserer Möglichkeiten helfen können, tun wir das - auch für unsere italienischen Freunde. Ich bin mir sicher, Italien hätte es für uns genauso gemacht, wenn die Lage eine andere wäre. Am Ende ist doch nur wichtig, dass den Menschen geholfen wird.