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Tauber: Die CDU war immer die Partei der politischen Mitte
Das Interview im Wortlaut:
Welt: Herr Tauber, CDU-Abgeordnete und die bayerische Staatsregierung schreiben Droh- und Klagebriefe an die Kanzlerin. Was ist los in der Union?
Tauber: Als Konservativer freue ich mich, dass das Briefeschreiben wieder so in Mode kommt. Aber am schönsten sind doch immer noch handgeschriebene Briefe, über die man nichts in der Zeitung liest.
Frage: Im Ernst, war die Union schon jemals in so schlechter Verfassung?
Tauber: Wir sind im besten Sinne des Wortes Volkspartei. Alle Diskussionen, die es gerade in Familien, Büros, Werkstätten oder Sportvereinen gibt, spiegeln sich auch bei uns wider. Es gibt Menschen, die sagen: Wir haben eine Aufgabe, die packen wir an. Andere haben Ängste und Sorgen – und diese werden eben oft lauter artikuliert.
Frage: Haben Sie so etwas schon jemals erlebt?
Tauber: Ja, als ich 1993 mit der Politik angefangen habe. Damals führten wir in Hessen Kommunalwahlkampf, während sehr viele Flüchtlinge aus dem Balkan zu uns kamen. Alle Artikel und Leserbriefe, die damals in der Lokalpresse erschienen sind, könnten Sie heute noch einmal veröffentlichen, wenn Sie statt „Balkanflüchtlingen“ diesmal „Syrienflüchtlinge“ schreiben würden.
Frage: Damals hätte niemand behauptet, Bundeskanzler Helmut Kohl hätte diese Flüchtlinge eingeladen.
Tauber: Ein anderer Unterschied ist viel relevanter: Damals gab es längst nicht das zivilgesellschaftliche Engagement, das es heute gibt – und das eine entscheidende Voraussetzung dafür ist, dass wir diese große Herausforderung schaffen.
Frage: Ist die Stimmung nicht längst gekippt? Werfen Sie doch einmal einen Blick in die sozialen Netzwerke!
Tauber: Es ist ja bekannt, dass ich das ab und an mache. Dabei stelle ich oft fest: Manche dieser Kritiker, die wüst mit Beleidigungen um sich werfen, wirken auf mich, als seien sie geradezu ins Scheitern verliebt. Sie wünschen sich, dass es schief geht, damit sie Recht behalten. Diese Kritiker beschimpfen uns als „Volksverräter“ – als könnte jemand ein Patriot sein, der sein eigenes Land scheitern sehen will. Patrioten sind diese Leute alle ganz offensichtlich nicht. Sie haben vielmehr eine zynische, ja menschenverachtende Haltung. Aber neu ist das nicht: Früher hatten diese Leute zwar keine Foren im Netz, aber sie wählten die Republikaner und machten Demonstrationen – und dazu gab es als Gegenreaktion die Lichterketten.
Frage: Jetzt werden Flüchtlingsheime schon mit Handgranaten angegriffen. Brauchen wir wieder Lichterketten?
Tauber: Dieser Angriff in Villingen-Schwenningen ist widerwärtig und erschreckend. Das ist versuchter Mord. Wer so etwas macht, ist kein besorgter Bürger – sondern schlicht ein Verbrecher. Damit werden die Werte, die unser Land ausmachen, mit Füßen getreten. Diesem Menschenleben verachtenden Terror muss sich unsere ganze Gesellschaft entschieden entgegenstellen. Und nach meinem Eindruck geschieht das auch an ganz vielen Orten.
Frage: Seit Franz Josef Strauß galt der Satz, die Union müsse verhindern, dass rechts von ihr eine politische Kraft entsteht. Nun ist dort die AfD entstanden. Was haben Sie falsch gemacht?
Tauber: Die CDU war nie rechts, sondern immer die Partei der politischen Mitte, schon seit Konrad Adenauer, nicht erst seit Angela Merkel. Wir haben uns nie über andere definiert und lassen uns jetzt erst recht nicht treiben von einer Partei, die in einer unerträglichen Weise über die Parteien spricht, die dieses Land maßgeblich geprägt haben.
Frage: Verstört es Sie nicht, dass in der Flüchtlingskrise die Umfragewerte ihrer CDU eingebrochen sind?
Tauber: In einer Zeit, in der Menschen – begründet oder unbegründet – große Ängste haben, schauen sie kritisch auf Regierungen. Das ist ganz normal und darf die CDU nicht schrecken. Man sollte sich von Zahlen auch nicht kirre machen lassen: Vor exakt vier Jahren, als es keine so große Herausforderung gab, waren wir bei 34 Prozent, die SPD hingegen bei 29 Prozent. Im Vergleich steht die Union doch aktuell mit zwischen 36 und 38 Prozent ziemlich gut da. Hätten wir uns intern nicht manchen überflüssigen Streit geleistet, könnte das vielleicht sogar noch besser sein.
Frage: Sie sind angetreten mit dem Slogan, die CDU solle „jünger, bunter und weiblicher“ werden. Das haben die alten, weißen Männer gehört und wählen jetzt AfD.
Tauber: Ich bin doch selbst ein weißer Mann, der nicht mehr zur Jungen Union gehört! Wir sind Volkspartei und wollen es bleiben. Deshalb brauchen wir mehr junge Leute, mehr Frauen und mehr Deutsche mit einer Einwanderungsgeschichte in der CDU. Das heißt aber nicht, dass uns unsere langjährigen, treuen Mitglieder nicht wichtig sind. Auch für die ältere Generation machen wir vieles. Denken Sie an die Mütterrente oder den kräftigen Ausbau der Pflegeversicherung.
Frage: Denen, die zur AfD wechseln, passt die ganze Modernisierung nicht.
Tauber: Tatsächliche sammeln sich in der AfD Leute, die wollen, dass alles so bleibt, wie es ist. Die CDU kann und will das nicht versprechen – weil es gelogen wäre. Es wird nicht alles bleiben wie es ist! Unsere Welt verändert sich! Und nicht nur, weil Flüchtlinge zu uns kommen. Wir leben nun einmal in der Globalisierung. Wir können diese Veränderungen nicht aufhalten – aber wir als CDU wollen ihnen eine Richtung geben, die gut für unser Land ist.
Frage: Also im Sinne eines anderen berühmten Strauß-Wortes: Konservativ sein, an der Spitze des Fortschritts zu stehen.
Tauber: Der Satz ist nicht von Strauß, sondern von Scharnhorst. Auch schön, wenn ein Bayer einen Preußen zitiert. Die AfD ist für mich keine konservative Partei, das sind Reaktionäre. Sie halten an einem Bild von dieser Republik fest, das es so nie gab, und suggerieren den Menschen: So kann es wieder werden.
Frage: Ist die CSU, die auch in die Zeit vor der Flüchtlingskrise zurückwill, dann ebenfalls reaktionär?
Tauber: Nein. Wenn man sieht, wie stark die CSU die erfolgreiche Entwicklung Bayerns geprägt hat, muss man sagen: Sie ist im besten Sinne wertkonservativ.
Frage: Nicht nur CSU-Chef Horst Seehofer bezichtigt Merkel des Rechtsbruchs, sondern mittlerweile widersprechen ihr auch CSU-Minister aus dem eigenen Kabinett. Ist Merkel zu schwach, um ihre Richtlinienkompetenz durchzusetzen?
Tauber: Überhaupt nicht, aber niemand hat ein Interesse daran, einen Streit eskalieren zu lassen, der schon viel zu lange fruchtlos geführt wird. Gerade unseren Anhängern und Mitgliedern ist es wichtig, dass wir gemeinsam anpacken, um die Probleme zu lösen. Das erwarten auch unsere Wahlkämpfer in Rheinland-Pfalz, Baden-Württemberg und Sachsen-Anhalt, aber auch in meiner Heimat Hessen, wo Kommunalwahlen sind. Und ich bin mir sicher, dass auch sehr viele Menschen, die in Bayern leben, darunter CSU-Mitglieder, mit großem Wohlwollen auf die Arbeit von Angela Merkel in der Flüchtlingskrise schauen. Auch solche Zuschriften erhalte ich.
Frage: CSU-Parteichef Seehofer greift die Kanzlerin auch persönlich an und CSU-Generalsekretär Andreas Scheuer unterstellt dem Kanzleramtschef und Flüchtlingskoordinator Peter Altmaier „inhaltsloses Gerede“.
Tauber: Wenn man weiß, wie hart und engagiert Peter Altmaier an der Bewältigung der Flüchtlingsfrage arbeitet, dann ist diese Aussage nicht nur in der Sache falsch, sondern auch unkameradschaftlich – und das weiß Andreas Scheuer sicherlich. So was macht man einfach nicht.
Frage: Auch jenseits der CSU erkennen einige Bürger ihre Kanzlerin nicht wieder?
Tauber: Ich halte das Bild von einer Kanzlerin, die plötzlich ganz neue Seiten zeige, für falsch. Angela Merkel geht in der Flüchtlingspolitik genauso vor wie in der Euro-Krise oder in der Staatsschulden-Krise. Sie hat lange überlegt, was sie tut, und abgewogen zwischen einer vermeintlich einfachen und schnellen Lösung und einer Lösung, die auf Dauer trägt. Am Ende hat sie sich für die Lösung entschieden, die deutschen Interessen am besten gerecht wird. Danach handelt sie. Der Unterschied: Diesmal geht es nicht um harte Wirtschaftsdaten und um Geld, sondern um Menschenleben im buchstäblichen Sinne. Vielleicht wird die Kanzlerin deshalb anders wahrgenommen. Aber sie ist keine andere geworden.
Frage: Nach Köln machen sich viele Menschen Sorgen, dass die Integration doch nicht klappt.
Tauber: Tatsächlich sehen wir gescheiterte Integration in unserem Land, aber das hat nichts mit der Flüchtlingsfrage zu tun. Die Bandenstruktur, die wir in einigen deutschen Großstädten beobachten, ist nicht durch aktuelle Flüchtlinge und Asylbewerber entstanden. Nach Köln hat aber eine heilsame Reflexion eingesetzt, die dringend notwendig ist: Wie ernst meinen wir es mit der Integration? Bisher musste bei uns mancher keine Konsequenzen spüren, wenn er sich nicht an die Regeln gehalten hat. Wir haben jetzt einige Gesetze verschärft, das finde ich auch richtig, aber noch wichtiger ist, dass die Gesetze auch angewendet werden. Die deutschen Gerichte hätten schon längst härtere Urteile fällen können! Wenn flächendeckend der Rechtsrahmen auch gegen Mehrfachtäter nicht ausgeschöpft wird, frustriert das nicht nur die ermittelnden Polizisten. Auch die Bürger verstehen nicht, wenn einer dieser kriminellen Antänzer, der erwischt wird, mit einer Woche Jugendarrest davonkommt, obwohl er volljährig ist.
Frage: Wenn es zu solchen Straftaten kommt, ist die Integration doch schon gescheitert, oder?
Tauber: Integration fängt in der Tat lange vorher an. Die allermeisten, die zu uns kommen, möchten arbeiten, sich etwas aufbauen und mit ihrer Familie leben. Und dann müssen wir uns auch hinterfragen, ob Deutschland diesen Menschen genug Identifikationsmöglichkeiten bietet: Wer hat denn bei uns Schwarz-Rot-Gold im Vorgarten stehen? Wie sollen Zugewanderte ein positives Verhältnis zu unserer Fahne aufbauen, wenn wir es selbst nicht zeigen? Schlimmstenfalls sehen sie Schwarz-Rot-Gold auch noch zuerst bei den Pegida-Demonstrationen. Dabei ist das die Fahne der Republik. Bei jeder Gegendemonstration müsste Schwarz-Rot-Gold flattern! Wenn wir nicht stolz auf Deutschland sind, dann können wir es auch nicht von Menschen erwarten, die zu uns kommen.
Frage: Stolz ist schwer zu verordnen.
Tauber: Richtig. Aber warum lernen Kinder bei uns in der Grundschule nicht die Nationalhymne? Warum wird ihnen nicht vermittelt, wofür die Farben Schwarz, Rot und Gold stehen?
Frage: Einwanderer singen in Deutschland nicht einmal die Hymne, wenn sie es in die Fußballnationalmannschaft geschafft haben.
Tauber: Das sehe ich nicht so düster. Ich erinnere mich noch an die Weltmeisterschaft 1990. Da sind die Zuschauer höchstens zum Bierholen aufgestanden, und niemand sang die Hymne oder interessierte sich dafür, wer von den Spielern die Hymne sang. Jetzt reden wir darüber, das ist doch gut.
Frage: Beim Fußball fängt die Leitkultur an?
Tauber: Jedenfalls hört sie nicht beim Grundgesetz auf, wie das mancher Grüner oder Sozi meint. Wir können auf unser Grundgesetz stolz sein, aber es gibt noch mehr, was unser Land ausmacht und wunderbar ist: Wir sind eine Gesellschaft, in der jeder alles werden kann. Eine Frau kann Bundeskanzlerin werden und ein Flüchtlingskind Vorsitzender unserer Studentenorganisation RCDS. Wenn das kein Grund ist, stolz zu sein! Aber auch hier sehe ich eine positive Entwicklung: Wer hätte vor einigen Jahren gedacht, dass die Grünen überhaupt den Sinn einer Leitkultur zumindest teilweise bejahen. Auch diesen Kulturkampf hat die CDU gewonnen.
Frage: Brauchen die Flüchtlinge genauso lange wie die Grünen, um ein Positives Verhältnis zu Deutschland zu entwickeln?
Tauber: Die meisten Flüchtlinge werden in ihre Heimatländer zurückkehren, wenn dort die Kriege zu Ende gegangen sind. Wenn sie dann neue Fähigkeiten und vielleicht auch die deutsche Sprache dahin mitnehmen, ist das gut. Einige werden aber bleiben. Und wie erfolgreich diese sich in Deutschland integrieren, hängt zuerst von ihnen selbst ab. Aber auch ein wenig von uns: Schaffen wir es, eine positive Erzählung Deutschlands zu vermitteln? Merken Flüchtlinge, dass sie willkommen sind, wenn sie sich anstrengen, und dass es sich nicht nur materiell, sondern auch emotional lohnt, zu uns zu gehören?
Frage: Die Skepsis, die nach Köln Überhand genommen hat, teilen Sie nicht?
Tauber: Nach den Vorkommnissen in Köln und anderen Städten haben wir zu Recht die in den Blick genommen, die durch ihr Verhalten unsere Gastfreundschaft und Hilfsbereitschaft mit Füßen getreten haben. Aber die allermeisten, die hier sind, wollen Deutsch lernen und arbeiten. Sie werfen nicht ihre Papiere weg, sondern zeigen im Gegenteil ihre Zeugnisse vor und fragen: Wo kann ich die anerkannt bekommen, um arbeiten zu können? Bei allen Problemen: Die meisten Flüchtlinge sind froh und dankbar, dass wir ihnen geholfen haben. Und mit denen werden wir – falls sie bleiben – auch ein gutes Zusammenleben im wahrsten Sinne des Wortes hinbekommen. Und bei allen anderen muss unser Staat Härte zeigen.
Frage: Gehört zur Wahrheit nicht auch, dass ein mit hohen Mindestlöhnen abgedichteter Arbeitsmarkt die Integration von Neuankömmlingen massiv erschwert?
Tauber: Ich möchte keine Debatte, in der es heißt, jemand habe seinen Job verloren, weil ein Flüchtling für weniger Lohn arbeitet. Dennoch sollte Arbeitsministerin Andreas Nahles prüfen, welche arbeitsmarktpolitischen Instrumente in dieser neuen Situation helfen können. Wir müssen neue Formen der Ausbildung finden und vielleicht auch das Instrument der Ein-Euro-Jobs wiederentdecken. Es darf jetzt keine Denkverbote geben!
Frage: Wir haben einen Reporter in eine Flüchtlingsunterkunft in Berlin geschickt. Er fand ein Hakenkreuz an der Wand und anti-israelische Graffiti.
Tauber: Wir müssen glasklar machen, dass Antisemitismus bei uns nicht geduldet wird. Dafür gibt es null Toleranz! Allerdings gibt es auch in unserer Gesellschaft Einstellungen zu Israel, die ich hoch problematisch finde: Denken Sie nur an die Linkspartei. Außerdem müssen wir aufpassen, dass wir nicht Provokateuren auf den Leim gehen: Salafisten und andere Radikale wünschen sich, dass wir uns mit den Flüchtlingen nicht gut vertragen und spielen deshalb gezielt mit unseren Ängsten. Gerade in Zeiten wie diesen muss man immer zweimal hinschauen.
Die Fragen stellten Ulf Poschardt und Robin Alexander.