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Jüdisches Leben in Deutschland
Jüdisches Leben und jüdische Kultur sind eng verflochten mit der Geschichte und Identität unseres Landes – und das bereits seit Jahrhunderten: Seit dem 4. Jahrhundert gibt es jüdisches Leben auf dem Gebiet der heutigen Bundesrepublik. Die erste urkundliche Erwähnung von jüdischen Bürgern findet sich in Köln des Jahres 321 in einem Dekret des römischen Kaisers Konstantin. Die jüdische Gemeinschaft in Deutschland feiert daher im nächsten Jahr ihr 1700jähriges Jubiläum mit bundesweiten Veranstaltungen und Feierlichkeiten.
Jüdische Vielfalt in Deutschland
Jüdisches Leben in Deutschland ist vielfältig und bereichert unsere Gesellschaft: Mit über 100.000 Mitgliedern ist die jüdische Gemeinde in Deutschland die drittgrößte in Europa. Sie ist aufgeteilt in 105 Gemeinden, die größten von ihnen sind in München, Berlin und Düsseldorf. Die jüdischen Gotteshäuser – Synagogen oder auf hebräisch „Beit Knesset“ genannt – erzählen von der wechselvollen Geschichte und der lebendigen Gegenwart jüdischen Lebens in Deutschland. Jüdische Geistliche werden Rabbiner genannt, was „Gelehrter“ bedeutet. Ihre Hauptaufgabe ist es, ihre Gemeinden spirituell und moralisch zu leiten und die Heilige Schrift der Juden zu lehren. Sie wird „Tanach“ genannt und besteht aus 3 Teilen mit insgesamt 24 Büchern. Die drei Teile sind die „Tora“ (die 5 Bücher Mose), die „Nevi’im“ (Propheten) und „Ketuvim“ (Schriften). Der jüdische Kalender beginnt bereits im Jahr 3761 vor Christus, weshalb wir momentan das jüdische Jahr 5780 schreiben. Am 19. September dieses Jahres beginnt dann das Jahr 5781. Auch die Tag- und Wochenzählung sind anders: Im Judentum beginnt der Tag mit dem Einbruch der Dunkelheit. Die Woche beginnt nach dem Schabbat-Fest, am Samstagabend nach dem gregorianischen Kalender.
Jüdische Glaubensströmungen
Alle Ausrichtungen des Judentums finden sich in Deutschland wieder: Das orthodoxe Judentum versteht die Tora als das direkt offenbarte Wort Gottes. Dennoch finden auch hier Anpassung an die aktuellen Zeiten im Rahmen der Halacha (der rechtliche Teil des Judentums) statt. Das liberale Judentum (auch Reformjudentum genannt) geht davon aus, dass die Offenbarung ein durch Menschen vermittelter und damit auch veränderbarer Prozess ist. Es sieht den Spielraum der Halacha weitergehender als die Orthodoxie. Die Ursprünge des liberalen Judentums finden sich im Deutschland des 19. Jahrhunderts und gehen auf die Ideen der Rabbiner Abraham Geiger, Samuel Holdheim und Israel Jacobsohn zurück. Die weltweit erste Rabbinerin war daher zum Beispiel eine Deutsche. Das konservative Judentum schließlich will Traditionen bewahren, aber erachtet Veränderungen im Rahmen der religiösen Grundsätze als notwendig.
Das jüdische Leben im Laufe der Geschichte
Das Bild unserer Städte, unserer Universitäten, unserer Kultur und unserer Sprache wäre nicht dasselbe ohne jüdisches Leben. Das zeigte sich schon im Mittelalter: Jüdische Siedlungen entlang der Flüsse und Handelsstraßen hatten einen kaum zu unterschätzenden Einfluss auf die Entwicklung der Städte in Deutschland. Sie waren Motoren eines frühen Urbanisierungsprozesses, ohne den sich der geschichtliche Verlauf wahrscheinlich ganz anders entwickelt hätte. Köln, Trier, Worms und Speyer – diese ältesten und damals größten Städte waren auch Zentren jüdischen Lebens.
Mitte des 14. Jahrhunderts erreichte die Zahl der jüdischen Niederlassungen ihren Höchststand. Daran anschließend vermehrten sich antijüdische Pogrome. Sie hatten einerseits wirtschaftliche Ursachen, da Missernten und Wirtschaftskrisen zu hohen Verschuldungen bei jüdischen Pfandleihern führten und entsprechende antijüdische Ressentiments schürten. Andererseits spielten auch religiöse Motive eine Rolle, da theologische Entwicklungen innerhalb der Kirche eine Feindschaft gegenüber Juden zur Folge hatten. Sie gipfelten in den sogenannten Pestpogromen (1348-1350), die sich in ganz Mitteleuropa ausbreiteten und ca. zwei Drittel der jüdischen Gemeinden vernichteten. Juden wurde fälschlicherweise unterstellt, durch Brunnenvergiftungen die Pest ausgelöst zu haben. Die Ermordungen und Vertreibungen der Juden im Zuge der Pestpogrome sind eine bedeutende Zäsur in der Geschichte des deutschen Judentums.
Nach Ende des dreißigjährigen Krieges stieg die Zahl jüdischer Einwohner in Deutschland wieder an. Beispielsweise entwickelte sich im Hamburger Raum ein neues jüdisches Zentrum. In den meist absolutistisch regierten deutschen Territorialstaaten blieb die Situation der jüdischen Minderheiten aber dennoch unsicher. Im Rahmen von sogenannten „Judenordnungen“ wurde das Leben der jüdischen Gemeinden geregelt und ein rechtlicher Sonderstatus für jüdische Bürger geschaffen.
Vor den Verbrechen der Shoah stand das Judentum in Deutschland in voller Blüte: Über 500.000 Menschen jüdischen Glaubens lebten hierzulande. Nach dem nationalsozialistischen Massenmord an fast 6 Millionen Juden in Europa und der erzwungenen Emigration mehrerer Hunderttausender aus Deutschland schien für die Überlebenden eine Existenz in diesem Land kaum möglich. Und doch: Noch bevor das NS-Regime endgültig besiegt war, fand sich am 11. April 1945 in Köln wieder eine jüdische Gemeinde zusammen. 1950 lebten ca. 15. 000 Juden in Deutschland.
Jüdischer Dichter & Denker
Im Zuge des Denkens der Aufklärung entstanden auch Initiativen gegen Judenfeindschaft und für eine rechtliche Gleichstellung der Juden. Lessings „Nathan der Weise“ schuf mit der Ringparabel das Modell eines gelungenen Umgangs der Weltreligionen miteinander. Christian Wilhelm von Dohm verfasste mit der Schrift „Über die bürgerliche Verbesserung der Juden“ ein Plädoyer für eine rechtliche Gleichstellung jüdischer Mitbürger. Das Beispiel Moses Mendelssohn zeigt schließlich, dass jüdisches Denken selbst Teil der Aufklärung war. Wie die christlichen Aufklärer vertrat er die Auffassung, dass der Mensch nicht über die Offenbarung, sondern durch den Gebrauch seiner Vernunft Gott erkennen kann.
Mit Beginn der Industrialisierung und im Verlauf des 19. Jahrhunderts erhielten jüdische Gemeinden mehr Freiräume zur Entfaltung. Sie waren mehrheitlich patriotisch gesinnt und wurden im Kaiserreich zu einer Kerngruppe des aufblühenden Bürgertums. Im Revolutionsjahr 1848 hatten die Juden bei den Wahlen zur Nationalversammlung in der Paulskirche erstmals das uneingeschränkte aktive und passive Wahlrecht. Nach dem Scheitern der Revolution dauerte es aber noch Jahrzehnte, bis sich diese Rechte auch durchsetzen konnten.
Wie sehr unsere Geschichte von den Leistungen jüdischer Kultur profitiert hat, das zeigte sich besonders in der Weimarer Republik. Jüdische Unternehmer, Künstler und Intellektuelle prägten in entscheidender Weise das Geistes-, Kultur- und Wirtschaftsleben dieser Zeit: Zu nennen wären hier Schriftsteller wie Alfred Döblin, Franz Kafka, Joseph Roth, Arthur Schnitzler, Kurt Tucholsky, Franz Werfel und Stefan Zweig, Komponisten wie Arnold Schönberg, Kurt Weill und Hanns Eisler, Geistes- und Sozialwissenschaftler wie Theodor W. Adorno, Max Horkheimer, Sigmund Freud und Hannah Arendt, Unternehmer wie der Berliner Bankier Carl Fürstenberg oder der Hamburger Reeder Albert Ballin. Von neun deutschen Nobelpreisträgern in der Zeit der Weimarer Republik waren fünf jüdische Naturwissenschaftler: Albert Einstein, James Franck, Gustav Hertz, Otto Meyerhof und Otto Heinrich Warburg.
All diese Beispiele zeigen: Jüdisches Leben ist ein Teil von uns – und war es schon seit Beginn unserer Geschichte. Der Nationalsozialismus hat versucht, dieses Leben auszulöschen. Der von den Nationalsozialisten begangene systematische Massenmord an zwei Drittel der Europäischen Juden ist ein Menschheitsverbrechen ohne jede Parallele und darf niemals vergessen werden. Es ist daher in unserer Verantwortung, die lange Tradition jüdischen Lebens in Deutschland in unserem Bewusstsein wachzuhalten und sie fortzuführen.